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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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    trogepisode und andern nebensächlichen Zügen ab-
    gesehn) alles auf ein Faktum hin, das in seinem gan-
    zen äußerlichen Verlauf, durch fast 700 Jahre, mit
    großer Treue überliefert worden ist. Eine Menge klei-
    ner Züge vereinigen sich, um es mindestens höchst
    glaubhaft zu machen, daß Siboldus der erste Abt
    war, daß er wirklich von den Wenden erschlagen
    wurde, daß sein Eintritt in ein Nahmitzer Fischerhaus
    das Signal zum Aufstande gab und daß er, auf der
    Flucht einen Baum erkletternd, auf diesem Baume
    sein Versteck und endlich unter demselben seinen
    Tod fand. Die Überlieferungen nun, die sich sämtlich
    auf diese Punkte hin vereinigen, sind folgende:
    Im Querschiff der Lehniner Kirche hängt bis diesen
    Tag ein altes Bild von etwa drei Fuß Höhe und fünf
    Fuß Länge, auf dem wir in zwei Längsschichten oben
    die Ermordung des Abtes, unten den Auszug der
    Mönche und die Erscheinung der Jungfrau Maria dar-

    1653
    gestellt finden. Vor dem Munde der Maria schwebt
    der bekannte weiße Zettel, auf dem wir die schon
    oben zitierten Worte lesen: »Redeatis, nihil deerit
    vobis.« Rechts in der Ecke des Bildes bemerken wir
    eine zweite lateinische, längere Inschrift, die da lau-
    tet:
    Anno milleno centeno bis minus uno
    Sub patre Roberto coepit Cistertius ordo.
    Annus millenus centenus et octuagenus
    Quando fuit Christi, Lenyn, fundata fuisti
    Sub patre Seboldo, quam Marchio contulit Otto
    Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.
    Hie iacet ille bonus marchravius Otto, patronus
    Huius ecclesiae. Sit, precor, in requie.
    Hic iacet occisus prior abbas, cui paradisus
    Iure patet, slavica quem stravit gens inimica.
    Zu deutsch etwa:
    Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der
    Zisterzienserorden. Als das Jahr Christi 1180 war,
    bist du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater
    Seboldus, welches der Markgraf Otto von Branden-
    burg dotiert hat; es war auch der Monat April. Hier
    ruhet jener gute Markgraf Otto, der Schützer dieser
    Kirche. Er möge in Frieden schlafen. Hier ruht auch
    der erste, gemordete Abt, dem das Paradies mit
    Recht offensteht, den das feindselig gesinnte Sla-
    wenvolk ermordet hat.

    1654
    Diese Inschrift ist die Hauptsache, besonders durch
    die Form ihrer Buchstaben. Das Bild selbst nämlich
    ist eine Pinselei, wie sie von ungeschickten Händen
    in jedem Jahrhundert (auch jetzt noch) gemalt wer-
    den kann, die Inschrift aber gehört einem ganz be-
    stimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchstaben
    nach ist das Bild zu Anfang des fünfzehnten Jahr-
    hunderts gemalt, und so ersehen wir denn mit ziem-
    licher Gewißheit aus diesem Bilde, wie man sich etwa
    ums Jahr 1400, oder wenig später, im Kloster selbst
    die Ermordung des Abtes Sibold vorstellte. 200 Jahre
    nach seinem Tode konnte diese Tradition, zumal bei
    den Mönchen selbst, durchaus noch lebendig und
    zuverlässig sein. Die Sagen unterstützen den Inhalt
    dieses Bildes bis diesen Tag.
    Ich sprach eingangs schon von einem Stücklein Poe-
    sie, das mit dem Tode des Abtes verknüpft sei, und
    diese poetische Seite ist wirklich da. Aber sie zeigt
    sich viel mehr in den gespenstigen Folgen der Untat
    als in dieser selbst.
    In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet
    die Überlieferung auch heut noch das Gehöft, in das
    damals der Abt eintrat. Das Haus selbst hat natürlich
    längst einem anderen Platz gemacht, doch ist ein
    Unsegen an der Stelle haftengeblieben. Die Besitzer
    wechseln, und mit ihnen wechselt die Gestalt des
    Mißgeschicks. Aber das Mißgeschick selber bleibt.
    Das Feuer verzehrt die vollen Scheunen, böse Lei-
    denschaften nehmen den Frieden, oder der Tod
    nimmt das liebste Kind. So wechseln die Geschicke
    des Hauses. Jetzt ist Siechtum heimisch darin. Die

    1655
    Menschen trocknen aus, und blut- und farblos, jeder
    Freude bar, gehen sie matt und müd ihrer Arbeit
    nach.
    Und wie die Tradition im Dorfe Nahmitz das Haus
    bezeichnet, so bezeichnet sie auch in dem schönen
    Eichenwalde zwischen Nahmitz und Lehnin die Stelle,
    wo der Baum stand, unter dem die Untat geschah.
    Der Stumpf war jahrhundertelang zu sehen; daneben
    lag der abgehauene Stamm, über den keine Verwe-
    sung kam und den niemand berühren mochte, weder
    der Förster noch die ärmsten Dorfleute, die Reisig im
    Walde suchten. Der Baum lag da wie ein herrenloses
    Eigentum, sicher durch die Scheu, die er einflößte.
    Erst im vorigen Jahrhundert kam ein Müller, der lud
    den Stamm auf und sagte zu den Umstehenden:
    »Wind und

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