Wanderungen durch die Mark Brandenburg
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trogepisode und andern nebensächlichen Zügen ab-
gesehn) alles auf ein Faktum hin, das in seinem gan-
zen äußerlichen Verlauf, durch fast 700 Jahre, mit
großer Treue überliefert worden ist. Eine Menge klei-
ner Züge vereinigen sich, um es mindestens höchst
glaubhaft zu machen, daß Siboldus der erste Abt
war, daß er wirklich von den Wenden erschlagen
wurde, daß sein Eintritt in ein Nahmitzer Fischerhaus
das Signal zum Aufstande gab und daß er, auf der
Flucht einen Baum erkletternd, auf diesem Baume
sein Versteck und endlich unter demselben seinen
Tod fand. Die Überlieferungen nun, die sich sämtlich
auf diese Punkte hin vereinigen, sind folgende:
Im Querschiff der Lehniner Kirche hängt bis diesen
Tag ein altes Bild von etwa drei Fuß Höhe und fünf
Fuß Länge, auf dem wir in zwei Längsschichten oben
die Ermordung des Abtes, unten den Auszug der
Mönche und die Erscheinung der Jungfrau Maria dar-
1653
gestellt finden. Vor dem Munde der Maria schwebt
der bekannte weiße Zettel, auf dem wir die schon
oben zitierten Worte lesen: »Redeatis, nihil deerit
vobis.« Rechts in der Ecke des Bildes bemerken wir
eine zweite lateinische, längere Inschrift, die da lau-
tet:
Anno milleno centeno bis minus uno
Sub patre Roberto coepit Cistertius ordo.
Annus millenus centenus et octuagenus
Quando fuit Christi, Lenyn, fundata fuisti
Sub patre Seboldo, quam Marchio contulit Otto
Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.
Hie iacet ille bonus marchravius Otto, patronus
Huius ecclesiae. Sit, precor, in requie.
Hic iacet occisus prior abbas, cui paradisus
Iure patet, slavica quem stravit gens inimica.
Zu deutsch etwa:
Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der
Zisterzienserorden. Als das Jahr Christi 1180 war,
bist du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater
Seboldus, welches der Markgraf Otto von Branden-
burg dotiert hat; es war auch der Monat April. Hier
ruhet jener gute Markgraf Otto, der Schützer dieser
Kirche. Er möge in Frieden schlafen. Hier ruht auch
der erste, gemordete Abt, dem das Paradies mit
Recht offensteht, den das feindselig gesinnte Sla-
wenvolk ermordet hat.
1654
Diese Inschrift ist die Hauptsache, besonders durch
die Form ihrer Buchstaben. Das Bild selbst nämlich
ist eine Pinselei, wie sie von ungeschickten Händen
in jedem Jahrhundert (auch jetzt noch) gemalt wer-
den kann, die Inschrift aber gehört einem ganz be-
stimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchstaben
nach ist das Bild zu Anfang des fünfzehnten Jahr-
hunderts gemalt, und so ersehen wir denn mit ziem-
licher Gewißheit aus diesem Bilde, wie man sich etwa
ums Jahr 1400, oder wenig später, im Kloster selbst
die Ermordung des Abtes Sibold vorstellte. 200 Jahre
nach seinem Tode konnte diese Tradition, zumal bei
den Mönchen selbst, durchaus noch lebendig und
zuverlässig sein. Die Sagen unterstützen den Inhalt
dieses Bildes bis diesen Tag.
Ich sprach eingangs schon von einem Stücklein Poe-
sie, das mit dem Tode des Abtes verknüpft sei, und
diese poetische Seite ist wirklich da. Aber sie zeigt
sich viel mehr in den gespenstigen Folgen der Untat
als in dieser selbst.
In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet
die Überlieferung auch heut noch das Gehöft, in das
damals der Abt eintrat. Das Haus selbst hat natürlich
längst einem anderen Platz gemacht, doch ist ein
Unsegen an der Stelle haftengeblieben. Die Besitzer
wechseln, und mit ihnen wechselt die Gestalt des
Mißgeschicks. Aber das Mißgeschick selber bleibt.
Das Feuer verzehrt die vollen Scheunen, böse Lei-
denschaften nehmen den Frieden, oder der Tod
nimmt das liebste Kind. So wechseln die Geschicke
des Hauses. Jetzt ist Siechtum heimisch darin. Die
1655
Menschen trocknen aus, und blut- und farblos, jeder
Freude bar, gehen sie matt und müd ihrer Arbeit
nach.
Und wie die Tradition im Dorfe Nahmitz das Haus
bezeichnet, so bezeichnet sie auch in dem schönen
Eichenwalde zwischen Nahmitz und Lehnin die Stelle,
wo der Baum stand, unter dem die Untat geschah.
Der Stumpf war jahrhundertelang zu sehen; daneben
lag der abgehauene Stamm, über den keine Verwe-
sung kam und den niemand berühren mochte, weder
der Förster noch die ärmsten Dorfleute, die Reisig im
Walde suchten. Der Baum lag da wie ein herrenloses
Eigentum, sicher durch die Scheu, die er einflößte.
Erst im vorigen Jahrhundert kam ein Müller, der lud
den Stamm auf und sagte zu den Umstehenden:
»Wind und
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