Wanderungen durch die Mark Brandenburg
einerseits und wie klein und be-
scheiden die Ansprüche der eintreffenden Äbte ande-
rerseits annehmen mögen. Wir treffen also wohl das
Richtige, wenn wir die Ansicht aussprechen, daß re-
gelmäßige Beschickungen des Generalkapitels nicht stattfanden, anderweitige Beziehungen aber, wenn
auch nicht immer, so doch vielfach , unterhalten wur-1647
den. Mehrere Urkunden tun solcher Beziehungen
direkt Erwähnung, und auch anderes spricht dafür,
daß unser märkisches Kloster in Cîteaux einen guten
Klang hatte und mit Vorliebe am Bande auszeich-
nender Abhängigkeit geführt wurde. Schon die Lage
Lehnins, an der Grenze aller Kultur , kam ihm zustatten. Die näher an Cîteaux gelegenen Klöster waren
Klöster wie andere mehr; während allen denjenigen
eine gesteigerte Bedeutung beiwohnen mußte, die,
als vorgeschobenste Posten, in die kaum bekehrte
slawisch-heidnische Welt hineinragten. Ist doch der
polnische Zweig immer ein Liebling der römischen
Kirche geblieben. Die Analogien ergeben sich von
selbst.
Die Lehniner Äbte hatten Bischofsrang, und sie
wohnten und lebten demgemäß. Das Lehniner
Abthaus, das, an der Westfront der Kirche gelegen,
bis diesen Augenblick steht, zeigt zwar keine großen
Verhältnisse, aber dies darf uns nicht zu falschen
Schlüssen verleiten. Es war überhaupt keine Zeit der
großen Häuser. Außerdem hatten die Lehniner Äbte,
ebenso wie die Bischöfe von Havelberg und Lebus,
ihr »Stadthaus« in Berlin, und es scheint, daß dies
letztere von größeren Verhältnissen war. Ursprüng-
lich stand es an einer jetzt schwer zu bestimmenden
Stelle der Schloßfreiheit, höchstwahrscheinlich da,
wo sich jetzt das große Schlütersche Schloßportal
erhebt; der Schloßbau unter Kurfürst Friedrich dem
Eisernen aber führte zu einer tauschweisen Ablösung
dieses Besitzes, und das Stadthaus für die Lehniner
Äbte ward in die Heiligegeiststraße verlegt (jetzt 10
und 11, wo die Kleine Burgstraße torartig in die Hei-
1648
ligegeiststraße einmündet). Das Haus markiert sich
noch jetzt als ein alter Bau.
Länger als viertehalbhundert Jahre gab es Äbte von
Lehnin, und wir können ihre Namen mit Hülfe zahl-
reicher Urkunden auf und ab verfolgen. Dennoch hält
es schwer, die Zahl der Äbte, die Lehnin von 1180
bis 1542 hatte, mit voller Bestimmtheit festzustellen.
Durch Jahrzehnte hin begegnen wir vielfach einem
und demselben Namen, und die Frage entsteht, ha-
ben wir es hier mit ein und demselben Abt, der zufäl-
lig sehr alt wurde, oder mit einer ganzen Reihe von
Äbten zu tun, die zufällig denselben Namen führten
und durch I., II., III. füglich hätten unterschieden
werden sollen. Das letztere ist zwar in den meisten
Fällen nicht wahrscheinlich, aber doch immerhin
möglich, und so bleiben Unsicherheiten. Nehmen wir
indes das Wahrscheinliche als Norm, so ergeben sich
für einen Zeitraum von 362 Jahren dreißig Äbte, wo-
nach also jeder einzelne zwölf Jahre regiert haben
wurde, was eine sehr glaubliche Durchschnittszahl
darstellt. Von allen dreißig hat es kein einziger zu
einer in Staat oder Kirche glänzend hervorragenden
Stellung gebracht; nur Mönch Kagelwit, der aber nie
Abt von Lehnin war, wurde später Erzbischof von Magdeburg. Einige indessen haben wenigstens an
der Geschichte unseres Landes, oft freilich mehr pas-
siv als aktiv, teilgenommen, und bei diesen, wie
auch beim Abte Arnold, dessen privates Schicksal
uns ein gewisses Interesse einflößt, werden wir in
nachstehendem länger oder kürzer zu verweilen ha-
ben.
1649
Wir beginnen mit Johann Sibold, dem ersten Abt,
von etwa 1180 bis 1190.
Abt Sibold, von 1180 bis 1190
Abt Sibold oder Siboldus war der erste Abt von Leh-
nin, und in derselben Weise, wie der älteste Teil des
Klosters am besten erhalten geblieben ist, so wird
auch von dem ersten und ältesten Abt desselben am
meisten und am eingehendsten erzählt. Die Erinne-
rung an ihn lebt noch im Volke fort. Freilich gehören
alle diese Erinnerungen der Sage und Legende an.
Historisch verbürgt ist wenig oder nichts. Aber ob
Sage oder Geschichte, darf gleichgültig für uns sein,
die wir der einen so gerne nachforschen wie der an-
dern.
Abt Sibold, so erzählen sich die Lehniner bis diesen
Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erschla-
gen, und im Einklange damit lesen wir auf einem
alten, halb verwitterten Bilde im Querschiff der Kir-
che: »Seboldus, primus abbas in Lenyn, a slavica
gente
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