Wanderungen durch die Mark Brandenburg
occisus.«
Abt Sibold wurde also erschlagen. Gewiß eine sehr
ernsthafte Sache. Die Geschichte seines Todes in-
dessen wiederzugeben ist nicht ohne eigentümliche
Schwierigkeiten, da sich, neben dem Ernsten und
Tragischen, auch Tragikomisches und selbst Zwei-
deutiges mit hineinmischt. Und doch ist über diese
bedenklichen Partien nicht hinwegzukommen; sie
gehören mit dazu. Es sei also gewagt.
1650
Abt Sibold und seine Mönche gingen oft über Land,
um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die
wendischen Fischerleute, die zäh und störrisch an
ihren alten Götzen festhielten, zum Christentum zu
bekehren. Einstmals, in Begleitung eines einzigen
Klosterbruders, hatte Abt Sibold in dem Klosterdorfe
Prützke gepredigt, und über Mittag, bei schwerer
Hitze heimkehrend, beschlossen Abt und Mönch, in
dem nahe beim Kloster gelegenen Dorfe Nahmitz zu
rasten, das sie eben matt und müde passierten. Der
Abt trat in eines der ärmlichen Häuser ein; die Scheu
aber, die hier sein Erscheinen einflößte, machte, daß
alles auseinanderstob; die Kinder versteckten sich in
Küche und Kammer, während die Frau, die ihren
Mann samt den andern Fischern am See beschäftigt
wußte, ängstlich unter den Backtrog kroch, der nach
damaliger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Eichen-
stamm war. Abt Sibold, nichts Arges ahnend, setzte
sich auf den umgestülpten Trog, die Kinder aber,
nachdem sie aus ihren Schlupfwinkeln allmählich
hervorgekommen waren, liefen jetzt an den See und
riefen dem Vater und den übrigen Fischersleuten zu:
»Der Abt ist da«, zugleich erzählend, in welch eigen-
tümlicher Situation sie die Mutter und den Abt ver-
lassen hatten. Die versammelten Fischersleute gaben
dieser Erzählung die schlimmste Deutung, und der
bittre Groll, den das Wendentum gegen die deut-
schen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in helle
Flammen aus. Mit wildem Geschrei stürzten alle ins
Dorf, umstellten das Haus und drangen auf den Abt
ein, der sich, als er wahrnahm, daß ihm dieser An-
griff gelte, samt seinem Begleiter durch die Flucht zu
retten suchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz,
1651
aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder
als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich
vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt
durch das dichte Laubgebüsch desselben, seinen
Verfolgern zu entgehen. Der Mönchsbruder eilte in-
zwischen vorauf, um Hülfe aus dem Kloster herbei-
zuholen. Abt Sibold schien gerettet, aber ein Schlüs-
selbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren
hatte, verriet sein Versteck und brachte ihn ins Ver-
derben. Wohl kamen endlich die Mönche und be-
schworen den tobenden Volkshaufen, von seinem
Vorhaben abzulassen. Der Säckelmeister bot Geld,
der Abt selbst, aus seinem Versteck heraus, ver-
sprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Heide
– aber die wilden Bursche bestanden auf ihrer Rache.
Sie hieben, da der Abt sich weigerte herabzusteigen,
die Eiche um und erschlugen endlich den am Boden
Liegenden. Die Mönche, die den Mord nicht hindern
konnten, kehrten unter Mißhandlungen von seiten
der Fischersleute in ihr Kloster zurück und standen
bereits auf dem Punkt, wenige Tage später die Mau-
ern desselben auf immer zu verlassen, als ihnen, so
erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erschien und
ihnen zurief: »Redeatis! Nihil deerit vobis« (Kehret
zurück; es soll euch an nichts fehlen), Worte, die
allen ein neues Gottvertrauen einflößten und sie zu
mutigem Ausharren vermochten. So die Tradition,
von der ich bekenne, daß ich ihr anfangs mißtraute.
Sie schien mir nicht den Charakter des zwölften
Jahrhunderts zu tragen, in welchem das Mönchtum,
gehoben und miterfüllt von den großen Ideen jener
Zeit, auch seinerseits ideeller, geheiligter, reiner dastand als zu irgendeiner anderen Epoche kirchlichen
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Lebens. Auch jetzt noch setze ich Zweifel in die volle
Echtheit und Glaubwürdigkeit der Überlieferung und
neige mich mehr der Ansicht zu, daß wir es hier mit
einer im Laufe der Zeit, je nach dem Bedürfnis der
Erzähler und Hörer, mannigfach gemodelten Sage zu
tun haben, der, namentlich im fünfzehnten Jahrhun-
dert, wo der Verfall des Mönchstums längst begon-
nen hatte, ein Liebesabenteuer oder doch der Ver-
dacht eines solchen, statt des ursprünglichen Motivs,
nämlich des Racenhasses , untergeschoben wurde.
Soweit meine Zweifel.
Auf der andern Seite deutet freilich (von der
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