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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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occisus.«
    Abt Sibold wurde also erschlagen. Gewiß eine sehr
    ernsthafte Sache. Die Geschichte seines Todes in-
    dessen wiederzugeben ist nicht ohne eigentümliche
    Schwierigkeiten, da sich, neben dem Ernsten und
    Tragischen, auch Tragikomisches und selbst Zwei-
    deutiges mit hineinmischt. Und doch ist über diese
    bedenklichen Partien nicht hinwegzukommen; sie
    gehören mit dazu. Es sei also gewagt.

    1650
    Abt Sibold und seine Mönche gingen oft über Land,
    um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die
    wendischen Fischerleute, die zäh und störrisch an
    ihren alten Götzen festhielten, zum Christentum zu
    bekehren. Einstmals, in Begleitung eines einzigen
    Klosterbruders, hatte Abt Sibold in dem Klosterdorfe
    Prützke gepredigt, und über Mittag, bei schwerer
    Hitze heimkehrend, beschlossen Abt und Mönch, in
    dem nahe beim Kloster gelegenen Dorfe Nahmitz zu
    rasten, das sie eben matt und müde passierten. Der
    Abt trat in eines der ärmlichen Häuser ein; die Scheu
    aber, die hier sein Erscheinen einflößte, machte, daß
    alles auseinanderstob; die Kinder versteckten sich in
    Küche und Kammer, während die Frau, die ihren
    Mann samt den andern Fischern am See beschäftigt
    wußte, ängstlich unter den Backtrog kroch, der nach
    damaliger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Eichen-
    stamm war. Abt Sibold, nichts Arges ahnend, setzte
    sich auf den umgestülpten Trog, die Kinder aber,
    nachdem sie aus ihren Schlupfwinkeln allmählich
    hervorgekommen waren, liefen jetzt an den See und
    riefen dem Vater und den übrigen Fischersleuten zu:
    »Der Abt ist da«, zugleich erzählend, in welch eigen-
    tümlicher Situation sie die Mutter und den Abt ver-
    lassen hatten. Die versammelten Fischersleute gaben
    dieser Erzählung die schlimmste Deutung, und der
    bittre Groll, den das Wendentum gegen die deut-
    schen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in helle
    Flammen aus. Mit wildem Geschrei stürzten alle ins
    Dorf, umstellten das Haus und drangen auf den Abt
    ein, der sich, als er wahrnahm, daß ihm dieser An-
    griff gelte, samt seinem Begleiter durch die Flucht zu
    retten suchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz,

    1651
    aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder
    als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich
    vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt
    durch das dichte Laubgebüsch desselben, seinen
    Verfolgern zu entgehen. Der Mönchsbruder eilte in-
    zwischen vorauf, um Hülfe aus dem Kloster herbei-
    zuholen. Abt Sibold schien gerettet, aber ein Schlüs-
    selbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren
    hatte, verriet sein Versteck und brachte ihn ins Ver-
    derben. Wohl kamen endlich die Mönche und be-
    schworen den tobenden Volkshaufen, von seinem
    Vorhaben abzulassen. Der Säckelmeister bot Geld,
    der Abt selbst, aus seinem Versteck heraus, ver-
    sprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Heide
    – aber die wilden Bursche bestanden auf ihrer Rache.
    Sie hieben, da der Abt sich weigerte herabzusteigen,
    die Eiche um und erschlugen endlich den am Boden
    Liegenden. Die Mönche, die den Mord nicht hindern
    konnten, kehrten unter Mißhandlungen von seiten
    der Fischersleute in ihr Kloster zurück und standen
    bereits auf dem Punkt, wenige Tage später die Mau-
    ern desselben auf immer zu verlassen, als ihnen, so
    erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erschien und
    ihnen zurief: »Redeatis! Nihil deerit vobis« (Kehret
    zurück; es soll euch an nichts fehlen), Worte, die
    allen ein neues Gottvertrauen einflößten und sie zu
    mutigem Ausharren vermochten. So die Tradition,
    von der ich bekenne, daß ich ihr anfangs mißtraute.
    Sie schien mir nicht den Charakter des zwölften
    Jahrhunderts zu tragen, in welchem das Mönchtum,
    gehoben und miterfüllt von den großen Ideen jener
    Zeit, auch seinerseits ideeller, geheiligter, reiner dastand als zu irgendeiner anderen Epoche kirchlichen

    1652
    Lebens. Auch jetzt noch setze ich Zweifel in die volle
    Echtheit und Glaubwürdigkeit der Überlieferung und
    neige mich mehr der Ansicht zu, daß wir es hier mit
    einer im Laufe der Zeit, je nach dem Bedürfnis der
    Erzähler und Hörer, mannigfach gemodelten Sage zu
    tun haben, der, namentlich im fünfzehnten Jahrhun-
    dert, wo der Verfall des Mönchstums längst begon-
    nen hatte, ein Liebesabenteuer oder doch der Ver-
    dacht eines solchen, statt des ursprünglichen Motivs,
    nämlich des Racenhasses , untergeschoben wurde.
    Soweit meine Zweifel.
    Auf der andern Seite deutet freilich (von der

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