Wanderungen durch die Mark Brandenburg
führt den besten Beweis, daß man
dem Kloster viel zuviel Ehre antut, wenn man ihm,
wie geschehen ist, nachredet, daß es all die Zeit über
(von 1319 bis 1345) gut askanisch gewesen wäre
oder gar an der Rückkehr und Restituierung Walde-
mars, nötigenfalls irgendeines Waldemars, gearbeitet habe. Nichts davon. Das Kloster Chorin hatte weder
die Treue, auf die Wiedereinsetzung eines »echten
Waldemar«, wenn es an einen solchen glaubte, zu
dringen, noch hatte es andererseits den Mut einer
politisch-patriotischen Intrigue, das heißt den Mut,
nötigenfalls auf jede Gefahr hin und bloß dem aska-
nischen Namen zuliebe, den unechten Waldemar zu
einem echten zu machen . Chorin tat nichts, als wartete ab. Waldemar, gleichviel, ob der falsche oder
der richtige, zog schon zwei Jahre durchs Land, und
die Uckermark, darin unser Kloster gelegen war, hat-
te ihn bereits anerkannt; nur gerade Abt und Kon-
vent von Chorin zögerten immer noch, ein Wort zu
sprechen und die alten askanischen Sympathien zu
bezeigen. Warum? Die bayrische Herrschaft , wenn auch mannigfach bedroht, erschien noch unerschüttert, jedenfalls dem Eindringling überlegen. Chorin
blieb also gut bayrisch, solange es das Klügste war, gut bayrisch zu sein.
1718
Aber der Herbst 1348 änderte plötzlich die Macht-
stellung der Parteien, und mit der veränderten
Machtstellung änderte sich natürlich auch die Stel-
lung Chorins. Kaiser Karl IV., der Luxemburger, der
dem bayrischen Kaiser, dem Vater des bayrischen
Markgrafen von Brandenburg, auf dem Kaiserthron
gefolgt war, trat auf die Seite des Falschen Walde-
mar und ließ ihn für echt erklären.
Jetzt wäre die Stunde für Chorin dagewesen, endlich
Treue zu zeigen, wenn auch nur Treue gegen Bay-
ern; aber es kannte nichts als Unterwerfung unter
die Macht. Mit dieser Anerkennung des Falschen
Waldemar durch den Kaiser war der bayrische Mark-
graf von Brandenburg auf einen Schlag der schwä-
chere Teil geworden; die natürliche Folge davon war,
daß Chorin aufhörte, bayrisch zu sein, um sofort kai-
serlich und Waldemarisch zu werden.2)
Dies war ein böser Fleck, eine häßliche Wandlung;
aber das Häßlichere kam noch nach. Die Sache
währte nicht lange; der Kaiser dachte bald anders
und ließ den Waldemar im Frühjahr 1350 ebenso
leicht wieder fallen, wie er ihn achtzehn Monate frü-
her erhoben hatte. Die Häuser Luxemburg und Bay-
ern söhnten sich aus. Waldemar war nun wieder
nichts oder doch nicht viel; nur die askanische Partei
stand noch zu ihm. Einzelne treue unter den Städten
suchten ihn auch jetzt noch zu halten, nur nicht Chorin . Die Machthaber hatten ihn fallenlassen, und das Kloster tat selbstverständlich dasselbe. Von einem
Einstehen, einem Zeugnisablegen, von dem, was wir
heute Charakter und Gesinnung nennen würden,
1719
keine Spur. Nach halbjähriger Teilnahme an der Wal-
demar-Komödie war Chorin wieder so gut bayrisch,
wie es vorher gewesen war. Die bayrischen Markgra-
fen ihrerseits waren auch zufrieden damit und mach-
ten aus dem flüchtigen Abfall nicht allzuviel. Sie
drückten zwar in einer Urkunde ihren Unmut und
ihre Trauer darüber aus, das Kloster nicht fest be-
funden zu haben; aber das war wenig mehr als eine
Formalität, die Sache war beigelegt und Chorin wie-
der angesehen, vielleicht angesehener als zuvor. Es
hielt nun auch aus, solange die Bayern im Lande
waren; aber wir dürfen wohl annehmen, nicht aus
Treue, sondern einfach deshalb, weil das Ausbleiben
jeder neuen Versuchung ein neues Ausgleiten un-
möglich machte.
Die angebliche »politische Glanzzeit« Chorins war
das natürliche Resultat gegebener Verhältnisse, nicht
mehr und nicht weniger, und die Quitzow-Zeit wird
dem Kloster zu einem ähnlich abwartenden politi-
schen Verfahren Veranlassung gegeben haben. Doch
sind die Aufzeichnungen darüber lückenhafter. Cho-
rin hatte keinen Heinrich Stich (siehe Seite 60), ent-
behrte vielmehr eines Abtes, der sich gemüßigt ge-
sehen hätte, die Verwicklungen einer verwicklungs-
reichen Epoche niederzuschreiben. Die letzten an-
derthalbhundert Jahre des Klosters unter der sich
befestigenden Macht der Hohenzollern scheinen ohne
jede Gefährdung hingegangen zu sein; Schenkungs-
brief reiht sich an Schenkungsbrief, bis endlich die
Reformation dazwischentritt und den Faden durch-
schneidet.
1720
Die Vorgänge, die die Säkularisierung Chorins beglei-
teten, waren wohl dieselben wie bei
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