Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ge-
schichte, wenn solche da waren, einfach verlorenge-
gangen sind, ist nachträglich schwer zu entscheiden,
doch spricht manches dafür, daß das erstere der Fall
war und daß Kloster Chorin nicht viel etwas anders
zu bedeuten hatte als eine große mönchische Öko-
nomie, in der es auf Erhaltung und Mehrung des
Wirtschaftsbestandes, aber wenig auf die Heilighal-
tung ideeller Güter ankam. Was indessen mehr be-
sagen will als die Dürre dieser urkundlichen Überlie-
ferungen, das ist der Umstand, daß das Kloster auch
bei seinen Um- und Anwohnern nicht die geringste
Spur seiner Existenz zurückgelassen zu haben
scheint.
Da sind keine Traditionen, die an die Lehniner Sagen
von Abt Sibold erinnerten, da ist kein See, kein
Haus, kein Baum, die als Zeugen blutiger Vorgänge
mit in irgendeine alte Klosterlegende verflochten wä-
ren; da ist keine »Weiße Frau«, die abends in den
Trümmern erscheint und nach dem Mönche sucht,
den sie liebte; alles ist tot hier, alles schweigt.
Ein einziger kurzer Abschnitt klingt an die Historie
wenigstens an. Es bezieht sich dies auf das bayeri-
1715
sche Interregnum in unsrer Geschichte, spezieller auf die Epoche, die zwischen dem Tode des echten und
dem Auftauchen und Wiederverschwinden des Fal-
schen Waldemar liegt, also auf die Zeit zwischen
1319 und 1349. Man hat dem Kloster nachgesagt,
daß es in dieser Zeit sich durch Intrigue, Schweige-
kunst und feines politisches Spiel hervorgetan und
wenigstens um seiner Klugheit willen einen gewissen
Anspruch auf unseren Respekt erworben habe. Ich
habe indes nichts finden können, was einen Anhalte-
punkt für die Annahme einer solchen Superiorität
böte. Von scharfer Vorausberechnung, von raschem
Hervortreten im rechten Moment oder wohl gar von
dem Blitzenden eines genialen Coups nirgends eine
Spur; überall nur die Betätigung allertrivialster Le-
bensklugheit, eine Politik von heute auf morgen, von
der Hand in den Mund.
Verfolgen wir, wie zur Beweisführung für die vorste-
henden Sätze, die Haltung des Klosters während der
vorgenannten Epoche, so werden wir es einfach im-
mer »bei der Macht« finden. Hielt die Macht aus, so
hielt Chorin auch aus, schwankte die Macht, so
schwankte auch Chorin. In zweifelhaften Fällen hielt
sich's zurück und wartete ab. Wenn dies »Diploma-
tie« ist, so ist nichts billiger als die diplomatische
Kunst.
Von 1319 bis 1323 waren für die Mark drei Präten-
denten da: Herzog Rudolf von Sachsen, Herzog Hein-
rich von Mecklenburg und Herzog Wratislaw von
Pommern-Wolgast. Die besten Ansprüche hatte un-
bedingt Rudolf von Sachsen; das Kloster sagte sich
1716
aber: »Herzog Heinrich und Herzog Wratislaw sind
uns näher, und weil sie uns näher sind, sind sie
wichtiger für uns.« Diese Erwägung genügte, um sich
– im Gegensatze zur Mittelmark, die nach Sachsen
hinneigte – auf die Seite von Pommern und Mecklen-
burg zu stellen.
So lagen die Sachen noch im Juni 1320. Aber das
Ansehen Rudolfs von Sachsen wuchs; zu seinem
größeren Rechte gesellte sich mehr und mehr auch
die größere Macht, und sobald das Kloster diese
Wahrnehmung machte, war es rasch zu einer Wand-
lung entschlossen. Im November 1320 begegnen wir
bereits einer Urkunde, worin »Herzog Rudolf das
Kloster Chorin in seinen Schutz nimmt, ihm seine
Ungnade erläßt « und dabei natürlich seinen Besitz ihm bestätigt. Wir sehen, das Kloster hatte es für gut
befunden, seine erste Schwenkung zu machen.
Indessen, die Dinge gingen nicht lange so. Kaiser
Ludwig hielt es um diese Zeit für angetan, die Mark
als ein verwaistes Reichslehn einzuziehen und seinen
ältesten Sohn damit zu begnaden. Dieser kam als
Markgraf ins Land. Die Rechnung, die von seiten
Chorins nunmehr angestellt wurde, war einfach die
folgende: »Rudolf von Sachsen ist stärker gewesen
als Mecklenburg oder Pommern, Kaiser Ludwig aber
ist wiederum stärker als der Sachsenherzog.« So
wurde unser Kloster denn, nachdem es drei oder vier
Jahre lang sächsisch gewesen war, ohne Zögern bay-
risch . Dies war die zweite Schwenkung. Aber noch andere standen bevor.
1717
1345 tauchte der sogenannte »Falsche Waldemar«
auf; wir lassen dahingestellt sein, ob er der falsche
oder der echte war. Sein Anhang mehrte sich, aber
die größere Macht stand zunächst noch auf bayri-
scher Seite. Was tat nun Chorin? Es hielt aus bei den
Bayern, solange Bayern der stärkere Teil war, und
dies Ausharren
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