Wanderungen durch die Mark Brandenburg
empfangen
einen Schimmer durch eingeschnittene Öffnungen,
alle aber sind bedrohlich durch ihre Steile und Grad-
linigkeit und machen einem die Weisheit der alten
Baumeister wieder gegenwärtig, die ihre Treppen
spiralförmig durch die dicke Wandung der Türme
zogen und dadurch die Gefahr beseitigten, funfzig
Fuß und mehr erbarmungslos hinabzustürzen.
Die Treppe frei und gradlinig. Und doch ist es ein
Ersteigen mit Hindernissen: die Schlüssel versagen
den Dienst in den rostigen Schlössern, und man
merkt, daß die Höhe von Sankt Nikolai zu Spandau
keine täglichen Gäste hat, wie Sankt Stephan in
Wien oder Sankt Paul in London. Endlich sind wir an
Uhr und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüs-
selbund, im Kampf mit Großschlössern und Vorlege-
schlössern, siegreich durchprobiert und steigen nun,
durch eine letzte Klappenöffnung, in die luftige La-
terne hinein, die den steinernen Turmbau krönt. Kei-
ne Fenster und Blenden sind zu öffnen, frei bläst der
Wind durch das gebrechliche Holzwerk. Das ist die
Stelle, die wir suchten. Ein Luginsland.
Zu Füßen uns, in scharfer Zeichnung, als läge eine
Karte vor uns ausgebreitet, die Zickzackwälle der
Festung; ostwärts im grauen Dämmer die Türme von
Berlin; nördlich, südlich die bucht- und seenreiche
Havel, inselbetupfelt, mit Flößen und Kähnen über-
deckt; nach Westen hin aber ein breites, kaum hier
und da von einer Hügelwelle unterbrochenes Flach-
land, das Havelland .
1728
Wer hier an einem Junitage stände, der würde hin-
ausblicken in üppig grüne Wiesen, durchwirkt von
Raps- und Weizenfeldern, gesprenkelt mit Büschen
und roten Dächern, ein Bild moderner Kultur; an
diesem frostigen Dezembertage aber liegt das schö-
ne Havelland brachfeldartig vor uns ausgebreitet,
eine graubraune, heideartige Fläche, durch welche
sich in breiten blanken Spiegeln, wie Seeflächen, die
Grundwasser und übergetretenen Gräben dieser Nie-
derungen ziehen. Wir haben diesen Tag gewählt, um
den flußumspannten Streifen Landes, der uns auf
diesen und den folgenden Seiten beschäftigen soll, in
der Gestalt zu sehen, in der er sich in alten, fast ein Jahrtausend zurückliegenden Zeiten darstellte. Ein
grauer Himmel über grauem Land, nur ein Krähen-
volk aufsteigend aus dem Weidenwege, der sich an
den Wasserlachen entlangzieht, so war das Land von
Anfang an: öde, still, Wasser, Weide, Wald.
Freilich, auch dieses Dezembertages winterliche
Hand hat das Leben nicht völlig abstreifen können,
das hier langsam, aber siegreich nach Herrschaft
gerungen hat. Dort zwischen Wasser und Weiden hin
läuft ein Damm, im ersten Augenblicke nur wie eine
braune Linie von unserem Turm aus bemerkbar; a-
ber jetzt gewinnt die Linie mehr und mehr Gestalt;
denn zischend, brausend, dampfend, dazwischen
einen Funkenregen ausstreuend, rasseln jetzt von
zwei Seiten her die langen Wagenreihen zweier Züge
heran und fliegen – an derselben Stelle vielleicht, wo
einst Jaczko und Albrecht der Bär sich trafen – an-
einander vorüber. Das Ganze wie ein Blitz!
1729
Der Tag neigt sich; der Sonnenball lugt nur noch
blutrot aus dem Grau des Horizonts hervor. Ein roter
Schein läuft über die grauen Wasserflächen hin. Nun
ist die Sonne unter, die Nebel steigen auf und wälzen
sich von Westen her auf die Stadt und unsere Turm-
stelle zu. Noch sehen wir, wie aus dem nächsten
Röhricht ein Volk Enten aufsteigt; aber ehe es in die
nächste Lache niederfällt, ist das schwarze Geflatter
in dem allgemeinen Grau verschwunden.
Das Havelland träumt wieder von alter Zeit.
Das Havelländische Luch
Es schien das Abendrot
Auf diese sumpfgewordne Urwaldstätte,
Wo ungestört das Leben mit dem Tod
Jahrtausendlang gekämpfet um die Wette.
Lenau
Das Havelland, oder, mit andere Worten, jene nach
drei Seiten hin von der Havel1), nach der vierten aber
vom Rhin-Flüßchen eingeschlossene Havelinsel, be-
stand in alter Zeit aus großen, nur hier und dort von
Sand- oder Lehmplateaus unterbrochenen Sumpf-
strecken, die sich, trotz der mannigfachsten Verän-
derungen und Umbildungen, bis diesen Tag unter
dem Sondernamen » das Havelländische Luch « oder
1730
auch bloß » das Luch « erhalten haben. Und sie haben in der Tat Anspruch auf eine unterscheidende Bezeichnung, da sie in Form und Art von den fruchtba-
ren Flußniederungen anderer Gegenden vielfach ab-
weichen und zum Beispiel statt des Weizens und der
Gerste nur
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