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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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ein Inventarium auf, nach
    Pfeiler- und Fensterzahl beschrieben werden sollen,
    müssen zugleich ein Landschafts- oder auch ein Genrebild sein. In einem oder im andern, am besten in der Zusammenwirkung beider wurzelt ihre Poesie.
    Chorin aber hat wenig oder nichts von dem allen; es
    gibt sich fast ausschließlich als Architekturbild. Alles fehlt, selbst das eigentlich Ruinenhafte der Erscheinung, so daß, von gewisser Entfernung her gesehen,
    das Ganze nicht anders wirkt wie jede andere goti-
    sche Kirche, die sich auf irgendeinem Marktplatz ir-

    1724
    gendeiner mittelalterlichen Stadt erhebt. Nur fehlt
    leider der Marktplatz und die Stadt. Und treten wir
    nun in die öden und doch wiederum nicht malerisch
    zerfallenen Innenräume ein, so fehlt uns eines mehr
    als alles andere. Wer immer auch unser Führer sein
    mag, und wäre er der beste, wir vermissen die stille
    Führerschaft von Sage und Geschichte. Alles läßt uns
    im Stich, und wir schreiten auf dem harten Schutt-
    boden hin wie auf einer Tenne, über die der Wind
    fegte. Alles leer.
    Kloster Chorin ist keine jener lieblichen Ruinen, darin sich's träumt wie auf einem Frühlingskirchhof, wenn
    die Gräber in Blumen stehen; es gestattet kein Ver-
    weilen in ihm, und es wirkt am besten, wenn es wie
    ein Schattenbild flüchtig an uns vorüberzieht. Wer
    hier in der Dämmerstunde des Weges kommt und
    plötzlich zwischen den Pappeln hindurch diesen still
    einsamen Prachtbau halb märchenhaft, halb ge-
    spenstisch auftauchen sieht, dem ist das Beste zuteil
    geworden, das diese Trümmer, die kaum Trümmer
    sind, ihm bieten können. Die Poesie dieser Stätte ist
    dann wie ein Traum, wie ein romantisches Bild an
    ihm vorübergezogen, und die sang- und klanglose
    Öde des Innern hat nicht Zeit gehabt, den Zauber
    wieder zu zerstören, den die flüchtige Begegnung
    schuf.

    1725
    Spandau und Umgebung
    Sankt Nikolai zu Spandau

    Wie Spukgestalten die Nebel sich drehn,
    's ist schaurig, über das Moor zu gehn,
    Die Ranke häkelt am Strauche.
    Annette Droste-Hülshoff

    Ein klarer Dezembertag; die Erde gefroren, die Dä-
    cher bereift. Aber schon mischt sich ein leises Grau
    in die heitere Himmelsbläue, es weht leise herüber
    von Westen her, und jenes Frösteln läuft über uns
    hin, das uns ankündigt: Schnee in der Luft.
    Schnee in der Luft; vielleicht morgen schon, daß er
    in Flocken niederfällt! So seien denn die Stunden
    genutzt, die noch einen freien Blick in die Landschaft
    gestatten.
    Das Spreetal hinunter, an dem Charlottenburger
    Schloß vorbei (dessen vergoldete Kuppelfiguren nicht
    recht wissen, ob sie in dem spärlichen Tageslicht
    noch blitzen sollen oder nicht), über Brücken hin,
    zwischen Schwanenrudeln hindurch, geht der Zug,
    bis die Havelveste vor uns aufsteigt, mit Brücken
    und Gräben, mit Torwarten und Mauern, und über
    dem allen: Sankt Nikolai, die erinnerungsreiche Kir-
    che dieser Stadt.

    1726
    Der Zug hält. Ohne Aufenthalt, mit den Minuten gei-
    zend, steuern wir durch ein Gewirr immer enger
    werdender Gassen auf den alten gotischen Bau zu,
    der sich, auf engem und kahlem Platze, über den
    Dächerkleinkram hinweg, in die stahlfarbene Luft
    erhebt. Kein Bau ersten Ranges, aber doch an dieser Stelle.
    Das Innere, ein seltner Fall bei renovierten Kirchen,
    bietet mehr, als das Äußere verspricht. Emporen, wie
    Brückenbogen geschwungen, ziehen sich zwischen
    den grauweißen Pfeilern hin und wirken hier, in dem
    sonst schmucklosen Gange, fast wie ein Ornament
    des Mittelschiffes.
    Die Kirche selbst, bei aller Schönheit, ist kahl; im
    Chor aber drängen sich die Erinnerungsstücke, die
    der Kirche noch aus alter Zeit her geblieben sind.
    Hier, an der Rundung des Gemäuers hin, hängen die
    Wappenschilde der Quaste, Ribbeck und Nostitz, hier
    richtet sich das prächtige Denkmal der Gebrüder Rö-
    bel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinal-
    tar, den Rochus von Lynar der Kirche stiftete, und
    hier endlich, in Front ebendieses Altars, erhebt sich
    das dreifußartige, schönste Kunstform zeigende
    Taufbecken, das zugleich die Stelle angibt, wo unter
    dem Estrich die Überreste Adam Schwarzenbergs
    ruhn. Zur Rechten die eigene Wappentafel des Gra-
    fen: der Rabe mit dem Türkenkopf.
    Alle diese Dinge indes sind es nicht, die uns heute
    nach Sankt Nikolai in Spandau geführt haben, unser
    Besuch gilt vielmehr dem alten Turme, zu dessen

    1727
    Höhe ein Dutzend Treppenstiegen hinanführen. Viele
    dieser Stiegen liegen im Dunkel, andre

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