Wanderungen durch die Mark Brandenburg
um nie wieder zum vollen Bewußtsein zurückzukehren . Und doch
lebte er noch länger als ein Jahr.
»Ich habe ihn« – so erzählt sein Biograph Professor
Waagen – »in diesem Zustande nur selten gesehen.
Der Anblick war mir zu schmerzlich. Als ich aber bei
Thorwaldsens Anwesenheit im Jahre 1841 diesem die
Entwürfe für die Malereien in der Museumshalle zeigte, wurd er, lange dabei verweilend, so von deren
Schönheit ergriffen, daß er dem Verlangen, ihren
hoffnungslos daniederliegenden Urheber einen Au-
genblick zu sehen, nicht widerstehen konnte. Als ich
mit ihm an das Bett trat, fixierte ihn Schinkel sehr
aufmerksam und sagte, ihn erkennend, leise: ›Thor-
waldsen!‹ Dann nach einer kleinen Pause: ›Sie ge-
hen nach Rom?‹ Er versuchte, noch mehr zu spre-
chen. Aber Thorwaldsen, überwältigt von dem Ge-
fühl, den Freund, den er früher in Rom so frisch und
lebenskräftig gesehen und von dessen geistiger Tä-
tigkeit er noch eben so herrliche Beweise gehabt, in
solchem Zustande zu erblicken, flüsterte mir zu: ›Ich
kann es nicht mehr aushalten‹, und wandte Sich,
indem die Tränen seinen Augen entstürzten, von ihm
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ab. Der Vergleich des hülflos daliegenden Schinkel,
dessen Alter ihm noch eine Reihe von Jahren zu le-
ben erlaubt hätte, mit dem kräftigen, in aller Fülle
der Gesundheit vor ihm stehenden, so viel älteren
Thorwaldsen1) hatte etwas unbeschreiblich Erschüt-
terndes.«
Dies war im Sommer 1841. Das Leben zog sich noch
bis in den Herbst desselben Jahres hin. Im Septem-
ber erfolgte ein Blutsturz, der Vorbote des Todes. Ein
Fieber stellte sich ein, das ihn nicht wieder verließ.
Am 9. Oktober starb er.
Am 12. Oktober wurd er auf dem Friedhofe der Doro-
theenstädtischen oder Friedrich-Werderschen Ge-
meinde (vor dem Oranienburger Tore) bestattet. Es
ist derselbe Friedhof, auf dem auch Fichte, Hegel,
Franz Horn, Schadow, Beuth und Borsig ihre Ruhe-
stätte gefunden haben. Ein unabsehbares Gefolge
hatte sich angeschlossen, da alle Gewerke, die in
irgendeiner Beziehung zu der Ausführung architekto-
nischer Werke stehen, mit erschienen waren. Profes-
sor Stier hielt eine begeisterte Rede.
Das Grabmal, das ihm das Jahr darauf auf dem
Friedhofe errichtet wurde, war eine Nachbildung des
Hermbstädtschen Monuments, das Schinkel selbst
einige Jahre früher entworfen hatte. Man folgte dabei
dem Rate Beuths, der sich wiederholentlich dahin
äußerte: »man könne dem hingeschiedenen Freunde
kein besseres Denkmal geben als seine eigenen Ar-
beiten«. Das Monument ist etwa sechs Fuß hoch, aus
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Granit und Bronze aufgeführt, und trägt neben Na-
men und Daten die Inschrift:
Was vom Himmel stammt,
was uns zum Himmel erhebt,
Ist für den Tod zu groß, ist für die Erde zu rein.
Wir wenden uns jetzt der Frage nach der äußern Er-
scheinung Schinkels, nach seinem Charakter und,
soweit diese Frage nicht schon berührt wurde, nach
seiner kunstreformatorischen Bedeutung zu.
Zunächst seine äußere Erscheinung. Er war von mitt-
lerer Größe und schlankem Körperbau; zu seiner
gesunden Gesichtsfarbe paßte das früh schon silber-
grau erglänzende, lockige Haupthaar vortrefflich.
Meist trug er einen blauen Überrock und jederzeit
weißeste Wäsche. Er war nicht schön, aber der
ernst-milde Ausdruck seines unregelmäßig geform-
ten Gesichts, dabei sein schöner, elastischer Gang,
verrieten den Mann höherer Begabung. Am tref-
fendsten hat ihn Franz Kugler geschildert: »Wenigen
Menschen war so, wie ihm, das Gepräge des Geistes
aufgedrückt. Was in seiner Erscheinung anzog und
auf wunderbare Weise fesselte, darf man nicht eben
als eine Mitgift der Natur bezeichnen. Schinkel war
kein schöner Mann, aber der Geist der Schönheit, der
in ihm lebte, war so mächtig und trat so lebendig
nach außen, daß man diesen Widerspruch erst be-
merkte, wenn man seine Erscheinung mit kalter Be-
sonnenheit zergliederte. In seinen Bewegungen war
ein Adel und ein Gleichmaß, um seinen Mund ein
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Lächeln, auf seiner Stirn eine Klarheit, in seinem
Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß man sich schon
durch seine bloße Erscheinung zu ihm hingezogen
fühlte. Noch größer aber war die Gewalt seines Wor-
tes, wenn das, was ihn innerlich beschäftigte, unwillkürlich und unvorbereitet auf seine Lippen trat .«
1. Thorwaldsen starb drei Jahre später. Ihm war
freilich ein schönerer Tod gegönnt. Er war mit
Oehlenschläger im
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