Wanderungen durch die Mark Brandenburg
geblieben. Wie streng
er aber in jeder Beziehung sich selbst beurteilte, so
mild, so liebevoll anerkennend war er gegen andere.
Nur innere Unwahrheit, falsche Ostentation, hohles
Aufblähen, leerer Dünkel, geistige Trägheit, Ober-
flächlichkeit und Gemeinheit waren Eigenschaften,
welche im Leben wie in der Kunst zu sehr mit seiner
innersten Natur in Widerspruch standen, als daß sie
nicht sein Mißfallen, bisweilen seinen lebhaften Tadel
hervorgerufen hätten. Und in diesem Punkte, Wesen
von Schein, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden,
besaß er eben vermöge seiner großen Reinheit einen
sehr feinen, in unsren Tagen immer seltener wer-
denden Sinn. Sein ganzes Wesen war so durchaus
auf das Geistige gerichtet, daß man von ihm, im Gegensatze zu denen, die nur leben, um zu essen, ohne
Übertreibung sagen konnte: er aß nur, um zu leben.
Was man andern, gewöhnlicheren Menschen mit
Recht zum hohen Verdienst anrechnet, die größte
Uneigennützigkeit, die strengste Rechtlichkeit,
verstand sich bei einem so hohen, durchaus edlen
Charakter wie Schinkel von selbst, und nur selten ist
mir im Leben eine Natur begegnet, auf welche Goe-
thes schöne Worte über Schiller: ›Und hinter ihm, in
wesenlosem Scheine, lag, was uns alle bändigt, das
Gemeine‹, in so vollem Maße ihre Anwendung gefun-
den hätten.«
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Soviel über seinen Charakter. Wir wenden uns jetzt
ausschließlich dem Künstler zu und legen uns zu-
nächst die zwei Fragen vor:
1. Bestimmte die Antike, in deren Geist er zu bauen
trachtete, von Anfang an seine Richtung?, und
2. inwieweit beherrschte ihn diese Richtung überhaupt? Gehorchte er ihr ausschließlich, oder erkann-
te er Mängel und Grenzen innerhalb derselben an?
Zunächst ad 1. Die Hellenik war nicht ein Patengeschenk, das irgendeine griechische Fee unserem
Schinkel gleich bei seiner Geburt mit in die Wiege
gelegt hätte, sie war ein mühevoll Erobertes, das er
erst nach langem Suchen fand. Es ist wahr, daß sich
in all jenen Schinkelschen Bauwerken, die vorzugs-
weise vor unsrer Seele stehn, wenn wir von Schinkel
sprechen, kaum ein Schwanken, kaum eine prinzi-
pielle Unsicherheit nachweisen läßt, aber wir müssen
uns hüten, hieraus, wie aus dem zufälligen Umstan-
de, daß einige seiner frühesten, aus der Gilly-Zeit
herstammenden Jugendarbeiten einen gewissen an-
tikisierenden Charakter tragen, den Schluß zu zie-
hen: »er sei immer Hellene gewesen und habe schon
mit achtzehn Jahren auf demselben Grund und Bo-
den gestanden, auf dem er dreißig Jahre später,
während der Blütezeit seines Schaffens, stand«.
Diese Annahme wäre durchaus unrichtig. Seitdem
wir eine völlige Schinkel-Literatur haben, seitdem
uns zuletzt noch das mehrgenannte Wolzogensche
Werk einen Einblick verschafft hat in den Entwick-
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lungsgang des Meisters, haben wir auch Gewißheit
darüber, daß Schinkel, als er im Jahre 1816 die Neue
Wache zeichnete, nicht einfach wieder an seine Gilly-
Zeit anknüpfte, sondern daß umgekehrt der Wieder-
aufnahme dessen, was er dreizehn Jahre früher ohne
volles künstlerisches Bewußtsein praktisch geübt
hatte, ernste Kämpfe vorausgingen, Kämpfe, die nie
ganz abschlossen und sich bis in die letzten Jahre
seines Lebens hinzogen.
Ohne bei den italienischen Briefen Schinkels verwei-
len zu wollen, die genugsam zeigen, daß ihn damals
die mittelalterlich-sarazenischen Bauten weit mehr
interessierten als die griechischen Tempel, für die er
doch in erster Reihe hätte schwärmen müssen, ver-
weisen wir an dieser Stelle lediglich auf die Zeich-
nungen und Pläne zu der großen, schon erwähnten
Friedenskathedrale, die auf dem Leipziger Platz er-
richtet werden sollte. Die Beschäftigung mit diesem
Kathedralenbau fällt in das Jahr 1817 und 1818, und
die Hellenik hatte zu dieser Zeit noch so wenig ausschließlich Besitz von ihm genommen, daß er diesen
Erinnerungsbau nicht als einen griechischen Tempel, sondern umgekehrt als einen großen gotischen Dom
(mit Kuppel) auszuführen gedachte. Also 1818 noch
Gotiker.
Dieser Bau kam nicht zur Ausführung, und es scheint allerdings, als ob sich die Anschauungen Schinkels
von jener Zeit an der Gotik immer mehr ab- und der
Antike immer mehr zugewandt hätten. Aber – und
hiermit gehen wir zu unsrer zweiten Frage über –
auch in dieser seiner späteren Epoche ließ er sich
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von der Vorliebe für das Griechentum niemals so
beherrschen, daß er es in
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