Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Eisenbahnbrücken
durchzogen; am Horizonte grau in grau der Span-
dauer Turm; unmittelbar vor mir aber ein seltsamer,
jalousienreicher Bau, rund, mit vier angeklebten fla-
chen Balkonhäusern und einem kupfernen Dachhelm,
auf dessen Spitze drei Genien mit Genhimmelhaltung
eines goldenen Fruchtkorbes beschäftigt waren. Ro-
koko durch und durch. Im Grundriß ein kurzes Kreuz,
mit rundem Mittelstück. Dies war das Belvedère . Die drei Genien mit dem Blumenkorb unverkennbar an
das Marmorpalais erinnernd. Die Tage der Lichtenau
standen wie auf einen Schlag vor mir: Sentimentali-
tät und Sinnlichkeit, Schäferspiele und kurze Röck-
chen, Antonius und Kleopatra. Nur alles trivialisiert.
Statt des Pharaonenkindes eine Stabstrompetertoch-
ter.
Ein Gartenarbeiter, wie ich bald wahrnahm, hatte in
einem der angeklebten Häuschen ein Unterkommen
gefunden; es fand sich ein Schlüssel, der eine der
Haupttüren öffnete. Das Erdgeschoß, einst als Kü-
1850
chen- und Wirtschaftsraum benutzt, war interesse-
los; eine schlank gewundene, von einem sauberen
Eisengitter eingefaßte Treppe führte in den ersten
und zweiten Stock. Wir stiegen hinauf. Ich hatte die-
selbe Empfindung, als ging es hinunter in eine Gruft.
Abgestorbenes ringsum. Nur mumienhaft erhalten.
Die Einrichtung beider Stockwerke ist dieselbe: ein
einziges saalartiges Rundzimmer.
Der Saal des ersten Stockwerkes ist der reichere;
der Fußboden parkettiert, die Wände rhombisch ge-
täfelt mit rotbraunem Pflaumbaumholz. An der wei-
ßen Decke kristallne Leuchter. Reliefdarstellungen
aus dem Apollo-und-Diana-Mythus umziehen, halb
fries-, halb supraportenartig, die obere Rundung,
während Ottomanen und Polsterstühle, in ihren Leh-
nen selbst wieder geschweift, dem Rund der unteren
Boisierung folgen. Zahlreiche Bilder, meist englische
Stiche nach den Dramen Shakespeares, stehen
gruppenweis, die Rückseite nach vorn, an den Wän-
den umher. Die dunkle Täflung, dazu der blaue Moi-
réstoff, der alle Polster überzieht, geben dem Zim-
mer einen festlichen, beinah ernsten Charakter.
Anders der Rundsaal des zweiten Stockes. Hier ist
dieselbe Art der Ausschmückung, aber ins Heitere
übertragen. Wie dort Braun und ein tieferes Blau den
Ton angeben, so lacht hier alles in Weiß und Rot und
Gold. Konsolen, mit Tongefäßen in gefälliger Form,
laufen guirlandenartig um die Rundung her, und die
scharlachnen Seidenüberzüge, als sei es an ihrer
leuchtenden Pracht nicht genug, haben ihr Rot noch
1851
mit bunten Malereien, mit Blumen und Bouquets ge-
schmückt. Wie im Zimmer des ersten Stocks, so leh-
nen sich auch hier zwei Balkons und ein Cabinet an
den Rundbau an; das Cabinet marmoriert und mit
Wandleuchtern von Goldbronze reich verziert.
In diesem Cabinette nun, nur durch zwei halb zu-
rückgeschlagene Gardinen von dem Rundsaal ge-
trennt, saß König Friedrich Wilhelm II. Es war in den
ersten Jahren seiner Regierung. Eine Aufführung
schien sich, mit einer Art von Feierlichkeit, vorzube-
reiten. Und so war es. In den goldbronzenen Wand-
leuchtern brannten ein paar Kerzen, aber ihr Licht,
durch die schweren Gardinen zurückgehalten, fiel nur
in einzelnen Streifen nach vorn hin in den Saal.
In diesem herrschte Dämmer. Der König hatte den
Wunsch ausgesprochen, die Geister Marc Aurels, des
Großen Kurfürsten und des Philosophen Leibniz er-
scheinen zu sehen. Und sie erschienen. Wie man
dabei verfuhr, darüber bericht ich an anderer Stelle.
Nur dies noch. Dem Könige war gestattet worden,
Fragen an die Abgeschiedenen zu richten; er machte
den Versuch, aber umsonst. Es gelang ihm nicht,
auch nur einen Laut über die bebenden Lippen zu
bringen. Dagegen vernahm er nun seinerseits von
den heraufbeschworenen Geistern strenge Worte,
drohende Strafreden und die Ermahnung, auf den
Pfad der Tugend zurückzukehren. Er rief mit banger
Stimme nach seinen Freunden; er bat inständig, den
Zauber zu lösen und ihn von seiner Todesangst zu
befreien. Nach einigem Zögern trat Bischofswerder in
das Cabinet und führte den zum Tod Erschöpften
1852
nach seinem Wagen. Er verlangte, zur Lichtenau zu-
rückgebracht zu werden, ein Wunsch, dem nicht
nachgegeben wurde. So kehrte er noch während
derselben Nacht nach Potsdam zurück.
Das war, wie schon angedeutet, mutmaßlich Anfang
der neunziger Jahre. Bestimmte Zeitangaben fehlen.
Von jenem Abend an stand das Belvedère fünfzig
Jahre lang leer. Es war, als
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