Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Einfangens kommen wir
weiterhin zurück.
Die 2 000 Schwäne zerfallen in Schwäne der Ober-
und Unterhavel; das Gebiet der einen reicht von Te-
gel bis Potsdam, das der andern von Potsdam bis
Brandenburg. Die Glienicker Brücke zieht die Grenze.
Die Schwäne der oberen Havel stehen unter der
Herrschaft der Spandauer, die Schwäne der unteren
Havel unter der der Potsdamer Fischer. Man könnte
dies die Einteilung der »Provinz Havelschwan« in
zwei Regierungsbezirke nennen. Diese großen Bezir-
ke aber zerfallen wieder in ebenso viele Kreise, als
es Haveldörfer gibt besonders auf der Strecke von
Potsdam bis Brandenburg. Die Uetzer Fischer beherr-
schen die Wublitz, die Marquardter Fischer den
Schlänitz-See, die Fischer von Caputh den Schwielow
usw. Auf der Unterhavel allein befinden sich gewiß
zwanzig solcher Arrondissements, alle mit gewissen
Rechten und Pflichten ausgerüstet, aber alle den bei-
den Hauptstädten dienstbar, alle in Abhängigkeit von
Potsdam und Spandau.
Wir wenden uns nun dem Sommerfang der Schwäne
zu. Er erfolgt zweimal und hat den doppelten Zweck:
den Jungschwan zu lähmen und den Altschwan zu
rupfen. Über die Lähmung ist nicht viel zu sagen; ein
Flügelglied wird weggeschnitten, damit ist es getan.
– Desto komplizierter ist der Prozeß des Rupfens. Er
geschieht an zwei verschiedenen Stellen. Die Schwä-
ne der Oberhavel werden auf dem Pichelswerder, die
Schwäne der Unterhavel auf dem »Depothof« bei
1857
Potsdam gerupft. Das Verfahren ist an beiden Orten
dasselbe. Wir geben es, wie wir es auf dem Depothof
sahen.
Der »Schwanenmeister«, Gesamtbeherrscher des
ganzen Volkes cygnus zwischen Tegel und Branden-
burg, gibt die Ordre: »Am 20. Mai (der Tag wechselt)
wird gerupft.« Nun beginnt das Einfangen. Die Fi-
scher der verschiedenen Haveldörfer machen sich
auf, treiben die auf ihrem Revier schwimmenden
Schwäne in eine Bucht oder Ecke zusammen, fahren
dann mit einem zehn Fuß langen Hakenstock in die
Schwanenmassen hinein, legen den Haken, der wie
bei dem Schäferstock eine halboffene Öse bildet,
geschickt um den Hals des Schwanes, ziehen ihn
heran und in ihr Fahrzeug hinein. Dies geschieht mit
großer Schnelligkeit, so daß binnen ganz kurzer Zeit
das Boot mit dicht nebeneinander hackenden
Schwänen besetzt ist, und zwar derart, daß die lan-
gen Hälse der Schwäne, über die Bootkante fort,
nach außen blicken. Ein sehr eigentümlicher, grotes-
ker Anblick.
In dieser Ausrüstung treffen nun die Boote aus we-
nigstens zwanzig Dörfern auf dem Depothof ein und
liefern ihre Schwanenfracht in die dort befindlichen
Hürden ab, von wo sie nach und nach zur Rupfbank
geschleppt werden.
Diese Rupfbank ist ein langer Tisch, der in einem
mächtigen Schuppen steht. An der einen Seite des
Tisches entlang, mit scharfem Auge und flinker
Hand, sitzen die Rupfweiber, meist Kiezfischer-
1858
Frauen. Ein Schwanenknecht trägt nun Stück auf
Stück die Schwäne herein, reicht sie über den Tisch,
die Frauen packen zu und klemmen den Hals zwi-
schen die Beine ein, während der Knecht den auf
dem Tische liegenden Schwan festhält. Nun beginnt
das Rupfen mit ebensoviel Vorsicht als Virtuosität.
Erst die Federn, dann die Daunen; kein Fleck von
Fleisch darf sichtbar werden. Nach Beendigung der
Prozedur aber nimmt der Schwanenknecht den
Schwan wieder in seinen Arm, trägt ihn zurück und
wirft ihn mit Macht in die Havel. Der Schwan taucht
nieder und segelt nun mit aller Gewalt quer über den
Fluß, um seinen Quälern zu entfliehen. Bald aber
friert ihn, und zunächst sonnige Ufer- und Inselstel-
len aufsuchend, eilt er erst den zweiten oder dritten
Tag wieder seinen Heimatplätzen im Schwielow oder
Schlänitz zu.
Einen ganz anderen Zweck, wie schon angedeutet,
verfolgt das Einfangen im Winter, wenn die Havel
zugeht. Die schönen Tiere würden im Eise umkom-
men. Sie werden also abermals zusammengetrieben
und eingesammelt, um an solche Havelstellen ge-
bracht zu werden, die nie zufrieren oder doch fast
nie zufrieren. Der Prozeß des Einfangens ist derselbe
wie im Sommer, aber nicht der Transport an die eis-
freien Stellen, welche letzteren sich glücklicherweise
bei Potsdam selbst, fast mitten in der Stadt, befin-
den. Die Überführung in Booten ist jetzt unmöglich,
da schon ganze Partien des Flusses durch Eis ge-
schlossen sind; so treffen sie denn in allerhand Ge-
fährt, in Bauer- und Möbelwagen, selbst in
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