Wanderungen durch die Mark Brandenburg
wär es an dieser Stelle
nur aus der Erde gewachsen, um als Rokokoschau-
bühne für eine Geisterkomödie, hinterher aber, um
als Wahrzeichen dafür zu dienen, daß das alles einmal wirklich war.
Durch ein halbes Jahrhundert hin waren diese Plätze
wie verfemt. Marmorpalais, Belvedère, Marquardt,
das Eckardtsteinsche Haus, auch andre noch; man
mied sie, man nannte sie kaum. Erst Friedrich Wil-
helm IV., innerlich freier, machte einen Versuch, den
Bann der neunziger Jahre zu durchbrechen. Das
Marmorpalais sah wieder Gondeln an seiner Treppe; die Miniaturbüste der Lichtenau, ein chef-d'œuvre,
wurde an altem Platze aufgestellt; was einst Abnei-
gung erweckt hatte, weckte wieder Interesse. Auch
das Belvedère schien wieder zu Ehren kommen zu
sollen. Von seinem Balkone aus sah der heitere Kö-
nig, dessen eigene sittliche Integrität ihm die Milde,
auch nach dieser Seite hin, zum Bedürfnis machte, in Dämmerstunden, beim Teegeplauder, das Spreetal
hinunter, freute sich der Segelkähne, die kamen und
gingen, der langen Züge, die rasselnd, dampfend
vorübersausten, der dunklen Flächen des Grunewal-
1853
des hier, der Jungfernheide dort, endlich des roten
Spandauer Turms, der die Zickzack-Festungswerke
drüben am westlichen Horizont hoch überragte.
Das waren die Wiederbelebungsversuche für das
Charlottenburger Belvedère. Aber sie kamen und
gingen wie bloße Träume. Bald schlief der Bau mit
seinen drei Rokokogenien weiter. Er schläft noch.
Etwas Unheimliches ist drumher, das nicht abzutun
ist. Was ist es? Ist es, weil es ein Spukhaus war, weil Gespenster hier umgingen?
Nein, denn man spielte hier nur Gespenst.
Aber fast scheint es, als ob ein doppeltes Grauen
ebendaraus erwuchs, daß die Geister, die hier auftra-
ten, nur ein Schein, eine Lüge waren.
1854
Potsdam und Umgebung
Die Havelschwäne
Da geht's an ein Picken,
An ein Schlürfen, an ein Hacken;
Sie stürzen einander über die Nacken,
Schieben sich, drängen sich, reißen sich,
Jagen sich, ängsten sich, beißen sich,
Und das all' um ein Stückchen Brot.
»Lilis Park«
Die Havel, um es noch einmal zu sagen, ist ein apar-
ter Fluß; man könnte ihn seiner Form nach den
norddeutschen oder den Flachlands-Neckar nennen.
Er beschreibt einen Halbkreis, kommt von Norden
und geht schließlich wieder gen Norden, und wer sich
aus Kindertagen jener primitiven Schaukeln entsinnt,
die aus einem Strick zwischen zwei Äpfelbäumen
bestanden, der hat die geschwungene Linie vor sich,
in der sich die Havel auf unseren Karten präsentiert.
Das Blau ihres Wassers und ihre zahllosen Buchten
(sie ist tatsächlich eine Aneinanderreihung von Seen)
machen sie in ihrer Art zu einem Unikum. Das Stück-
chen Erde, das sie umspannt, eben unser Havelland,
ist, wie ich in den voraufgehenden Kapiteln gezeigt
habe, die Stätte ältester Kultur in diesen Landen.
1855
Hier entstanden, hart am Ufer des Flusses hin, die
alten Bistümer Brandenburg und Havelberg. Und wie
die älteste Kultur hier geboren wurde, so auch die
neueste. Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut
von Sanssouci aus durchleuchtet. Die Havel darf sich
einreihen in die Zahl deutscher Kulturströme.
Aber nicht von ihren Großtaten gedenke ich heute zu
erzählen, nur von einer ihrer Zierden, von den
Schwänen .
Diese Schwäne sind auf dem ganzen Mittellauf der
Havel zu Hause. Die zahlreichen großen Wasserbe-
cken, die sich hier finden: der Tegler See, der Wann-
see, der Schwielow, die Schlänitz, die Wublitz, sind
ihre Lieblingsplätze. Ihre Gesamtzahl beträgt 2 000.
In früheren Jahren war es nicht möglich, diese hohe
Zahl zu erreichen. Während der Franzosenzeit waren
sie, als ein bequemes Jagdobjekt, zu Hunderten ge-
tötet worden; später wurden die großstädtischen
Eiersammler ihrer Vermehrung gefährlich. Erst die
Festsetzung strenger Strafen machte diesem Übel-
stande ein Ende. Seitdem ist ihre Zahl in einem ste-
ten Wachsen begriffen. Wie mächtige weiße Blumen
blühen sie über die blaue Fläche hin; ein Bild stolzer
Freiheit.
Ein Bild der Freiheit. Und doch stehen sie unter
Contrôle, in Sommertagen zu der Menschen, in Win-
tertagen zu ihrem eigenen Besten. Im Sommer wer-
den sie eingefangen, um gerupft, im Winter, um ge-
futtert zu werden. So bringt der Hofstaat oder viel-
leicht der Fiskus, dem sie zugehören, seine sommer-
1856
liche Untat durch winterliche Guttat wieder in Balan-
ce. Auf die Prozedur des
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