Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Eisen-
bahnwaggons, in ihrem Potsdamer Winterhafen ein.
1859
Sie haben nun wieder sicheres Wasser unter den
Füßen, die Gefahr des Erfrierens ist beseitigt, aber
die Gefahr des Verhungerns – 2 000 Schwäne auf
allerkleinstem Terrain – würde jetzt um so drohender
an sie herantreten, wenn nicht durch Fütterung für
sie gesorgt würde. Diese erfolgt in den Wintermona-
ten täglich zweimal, morgens um acht und nachmit-
tags um drei Uhr, immer an derselben Stelle, und
zwar in der Nähe des Stadtschlosses.
Unmittelbar hinter der Eisenbahnbrücke, am Ende
des Lustgartens, ist eine Stelle, welche wegen des
starken Stromes nur selten zufriert. Diese ist Ren-
dezvous. Wir geben die Drei-Uhr-Fütterung.
Schon um Mittag ziehen sich die Schwäne von allen
noch offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen
der Stadt in der Nähe der Eisenbahnbrücke zusam-
men. Unruhig ziehen sie, nicht einzeln, sondern zu
Hunderten, neben- und hintereinander, am Ufer hin
und her, die alten und erfahreneren aber unter dem
letzten Bogen der Eisenbahnbrücke hindurch, auf
eine Stelle zu, von wo sie mit hochaufgerecktem Hal-
se über die Uferbrüstung hinweg den langen Wallweg
hinuntersehen können, auf dem der Schwanenmeis-
ter mit seinem Kornkarren heranfahren muß. Sie
kennen ihn auch schon in weitester Entfernung, und
kaum taucht seine Mütze zwischen den Bäumen auf,
so fährt eine ganz besondere Unruhe in das zahlrei-
che Rudel. In höchster Anstrengung rudern sie sofort
unter der Eisenbahnbrücke hindurch, nach dem Fut-
terplatze, und, wenn sie ihn dort noch nicht ange-
kommen sehen, wieder zurück zu der Stelle, wo sie
1860
seine Annäherung beobachten können. Diese unruhi-
ge Wanderung wiederholt sich so lange, bis der
Schwanenmeister mit Karre und Gerstensack an der
Brücke angekommen ist. Nun entsteht ein wahrer
Tumult unter den Tieren. Alles stürzt übereinander
und nebeneinander hin und reckt die Hälse, um nur
ja keine Bewegung ihres Hüters zu übersehen und
den ersten Schaufelwurf nicht zu versäumen. Noch
ist es indessen nicht soweit. Der Schwanenmeister
geht erst auf die Brücke, um in langgezogenen Tö-
nen sein »Hans! Hans!« zu rufen, auf welchen Ruf
die etwa noch Verspäteten von allen Seiten herbei-
schwimmen. Solange dies Rufen dauert, halten sich
die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört es aber
auf und wendet der Rufende sich zu dem eigentli-
chen Fütterungsplatze, so rauscht das ganze Schwa-
nenheer in einer großen, blendend weißen Masse,
drängend wie ein Keil und gewaltsam wie die Räder
eines Dampfschiffs, im Wasser neben dem am Ufer
gehenden Schwanenmeister her. Während der Sack
aufgebunden wird, schroten sich einige der Gierigs-
ten über die Eisschollen und Ränder am Ufer auf das
feste Land, watscheln unbehülflich zum Karren, um
womöglich die ersten zu sein, die etwas erhalten.
Ihre Berechnung wird aber jedesmal getäuscht, denn
wenn recht viele aus dem Wasser heraus und andere
im Begriff sind, ihnen zu folgen, wird der Gerstenkar-
ren rasch auf die entfernteste Stelle des Futterplat-
zes geschoben. Kaum sehen die ans Land gekomme-
nen Schwäne, daß ihnen ihre Eile nichts hilft, so
stürzen sie sich so rasch wie möglich in das Wasser
zurück; aber es hält schwer, in der dichtgedrängten
Masse der schwimmenden Schwäne ein Fleckchen zu
1861
finden, wo sie noch Platz hätten. Mit einer unglaubli-
chen Gewaltsamkeit drängen die Hintersten gegen
das Ufer. Nun erfolgt der erste Wurf weit ins Wasser
hinein, und wo die Gerste das Wasser berühren
kann, verschwinden im Nu alle Hälse, und man sieht
plötzlich Hunderte von Zuckerhüten auf dem Wasser
schwimmen. Unmittelbar am Ufer aber gelangt die
Gerste gar nicht ins Wasser, sondern bleibt auf den
dicht aneinandergedrängten Rücken der Schwäne
liegen. Um sie aufzulesen, verschlingen die langen
Hälse sich hin und wieder zu Knoten, so daß es oft
den Anschein hat, als könnten sie kaum wieder aus-
einanderkommen. Soweit jeder Wurf reicht, tritt für
einige Augenblicke eine gewisse Ruhe ein; desto un-
ruhiger und drängender geht es ringsumher zu. Mit
Bissen und Flügelschlägen suchen sich die Entfern-
testen Bahn in den dichten Haufen zu brechen; aber
vergebens, denn es kann keines der Tiere Platz ma-
chen, wenn es auch wollte, aber es will auch nicht,
sondern beißt und schlägt abwehrend auf seinen An-
greifer los. Wieder kommt ein Wurf, und wieder
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