Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der Kirche ihre letzte Rast ge-
funden haben. Erst im weiteren Umkreise beginnt
der Fremdenzuzug, gewinnen die Gäste von Sans-
souci her die Oberhand, bis wir am Rande des Ge-
mäuers den Erbbegräbnissen begegnen. Wir haben
1946
also drei Zirkel zu verzeichnen: den Bornstedter, den
Sanssouci- und den Erbbegräbnis-Zirkel.
An einige Grabsteine des mittleren, also des Sans-
souci-Zirkels, treten wir heran; nicht an solche, die
berühmte Namen tragen (obschon ihrer kein Mangel
ist), sondern an solche, die uns zeigen, wie wunder-
bar gemischt die Toten hier ruhen. Da ruht zu Füßen
eines Säulenstumpfes Demoiselle Maria Theresia
Calefice. Wer war sie? Die Inschrift gibt keinen An-
halt: »Gott und Menschen lieben, Gutes ohne Selbst-
sucht tun, den Freund ehren, dem Dürftigen helfen –
war ihres Lebens Geschäft .« Ein beneidenswertes Los. Dazu war sie in der bevorzugten Lage, diesem
»Geschäft« zweiundachtzig Jahre lang obliegen zu
können. Geboren 1713, gestorben 1795. Wir vermu-
ten eine reponierte Sängerin.
Nicht weit davon lesen wir: »Hier ruht in Gott Profes-
sor Samuel Rösel, geboren in Breslau 1769, gestor-
ben 1843. ›Tretet leise an sein Grab, ihr Männer von
edlem Herzen, denn er war euch nahe verwandt.‹«
Wer war er? Ein gußeisernes Gitter, einfach und doch
zugleich abweichend von allem Herkömmlichen,
schließt die Ruhestätte ein; um die rostbraunen Stä-
be winden sich Vergißmeinnichtranken, und zu Häup-
ten steht eine Hagerose.
Noch ein dritter Fremder an dieser Stelle: Heinrich
Wilhelm Wagenführer, geboren zu Neuwied 1690. Er
wurde vom Rhein an die Havel verschlagen, wie es
scheint, zu seinem Glück. Der Grabstein nennt ihn
mit Unbefangenheit »einen vornehmen Kauf- und
1947
Handelsmann zu Potsdam«. Diese Inschrift, mit den
Daten, die sie begleiten, ist nicht leicht zu entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite steht, hat
sein Wurzelgeäst derart über den Grabstein hingezo-
gen, daß es aussieht, als läge eine Riesenhand über
dem Stein und mühe sich, diesen an seiner Grabes-
stelle festzuhalten. Gespenstisch am hellen, lichten
Tag!
Wir gehen vorbei an allem, was unter Marmor und
hochtönender Inschrift an dieser Stelle ruht, ebenso
an den Erbbegräbnissen des dritten Zirkels, und tre-
ten in eine nach links hin abgezweigte Parzelle dieses
Totenackers ein, die den Namen des »Selloschen
Friedhofs« führt. Die Sellos sind Sanssoucigärtner
seit über hundert Jahren. Ihre Begräbnisstätte bildet
eine Art vorspringendes Bastion; ein niedriges Gitter
trennt sie von dem Rest des Kirchhofs. Hier ruhen,
außer der »Dynastie Sello«, mit ihnen verschwägerte
oder befreundete Sanssoucimänner, die »Eigent-
lichsten«:
Karl Timm, Geheimer Kämmerier, gestorben 1839.
Emil Illaire, Geheimer Cabinetsrat, gestorben 1866.
Peter Joseph Lenné, Generaldirektor der Königlichen
Gärten, gestorben 1866.
Friedrich Ludwig Persius, Architekt des Königs, ge-
storben 1845.
1948
Ferdinand von Arnim, Hofbaurat, gestorben 1866.
Denkmal an Denkmal hat diese Begräbnisstätte der
Sellos zugleich zu einer Kunststätte umgeschaffen:
Marmorreliefs, in der Sprache griechischer und
christlicher Symbolik, sprechen zu uns; hier weist
der Engel des Friedens nach oben; dort, aus dem
weißen Marmorkreuz hervor, blickt das Dornenantlitz
zu uns nieder, das zuerst auf dem Schweißtuche der
heiligen Veronika stand. Nur die Sellos, die eigentli-
chen Herren des Platzes, haben den künstlerischen
Schmuck verschmäht: einfache Feldsteinblöcke tra-
gen ihre Namen und die Daten von Geburt und Tod.
Sie haben den künstlerischen Schmuck verschmäht,
nur nicht den, der ihnen zustand. Die alten Gärtner
wollten in einem Garten schlafen. So viele Gräber, so
viele Beete – das Ganze verandaartig von Pfeilern
und Balkenlagen umstellt. Die Pfeiler wieder hüllen
sich in Efeu und wilden Wein, Linden und Nußbäume
strecken von außen her ihre Zweige weit über die
Balkenlagen fort, zwischen den Gräbern selbst aber
stehen Taxus und Zypressen, und die brennende
Liebe der Verbenen spinnt ihr Rot in das dunkelgrüne
Gezweig.
Aus der Selloschen Begräbnisparzelle sind wir auf
den eigentlichen Kirchhof zurückgeschritten.
Noch ein Denkmal verbleibt uns, an das wir heranzutreten haben: ein wunderliches Gebilde, das, in ü-
bermütigem Widerspruch mit Marmorkreuz und Frie-
densengel, den Ernst dieser Stunde wie ein grotes-
1949
kes
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