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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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und
    ich gehörte endlich wieder zu der uralten Familie A-
    Grippa, das heißt zu der, welche die Grippe nicht hat.
    Leider trat mit der Sonnenfinsternis am 17. Juli erst
    Nebel, dann Regen und Kälte ein, so daß ich meinem
    Skizzenbuche nur schmale Kost reichen konnte. Ein
    Fremder an der table d'hôte in Hildesheim nannte
    den feinen Nebelregen ›Luftschweiß‹; er ist aber
    dem kalten Todesschweiße noch ähnlicher, der allen
    zarten Pflänzchen den Garaus macht. Zu meinem
    Glücke reise ich nicht bloß auf schöne Gegenden,
    Kirchen, Schlösser und Altertümer, sondern vor al-
    lem auf Menschen. Papa Goethe hat wohl recht,
    wenn er sagt: ›Die Welt ist so leer, wenn man nur

    1975
    Berge, Flüsse und Städte darinnen sich denkt; aber
    hie und da jemand zu wissen, der mit uns überein-
    stimmt, mit dem wir auch stillschweigend fortleben,
    das macht dieses Erdenrund erst zu einem bewohn-
    ten Paradiesgärtlein.‹
    Da mochte es denn regnen und kalt sein, ich sonnte
    mich an den vielen, des unverhofften Wiedersehens
    sich freuenden Augen alter Freunde und Bekannte,
    die mir fast an jedem Orte entgegenleuchteten und
    mich alles Ungemach der Witterung vergessen lie-
    ßen. Und so schied ich denn auch von jedem Orte
    viel reicher an Freunden und interessanten Bekannt-
    schaften, als ich kam. Der Herzenskalender füllte
    sich zusehends mit neuen Geburtstagen und Lebens-
    festen, und solches tut auch not, denn in der letzten
    Zeit war der Abgang stärker als der Zuwachs. –
    Den Geburtstag unsres teuren Königs feierte ich,
    trotz Sturm und Drang, auf einem höchst klassischen
    Boden, und zwar im arnsbergschen Regierungsbe-
    zirk, auf den Grundmauern der Burg Karls des Gro-
    ßen, wo er Reichsversammlungen und Zehntgerichte
    hielt, wo ihn die Päpste Hadrian I. und Leo III. be-
    suchten und allwo er die widerspenstigen und un-
    gläubigen Sachsen ziemlich unsanft bekehrte. Dies
    war auch der weiteste Punkt meines Streifzuges,
    denn da ich durch mein Sterben und Auferstehn in
    Magdeburg zwölf Tage von der Urlaubszeit eingebüßt
    hatte und nur kleine Reisen wagen durfte, um nicht
    zum zweiten und vielleicht letzten Male zu verschei-
    den, so mußt ich kehrtmachen, ohne den alten Vater
    Rhein begrüßt zu haben. Und so bin ich denn über

    1976
    Arolsen, Kassel, Heiligenstadt, Nordhausen, Eisleben,
    Halle, Wittenberg am 8. August wieder heimgekehrt.
    Noch zu guter Letzt feierte ich in Halle ein beseligen-
    des Fest des Wiedersehens, und zwar im Gasthofe
    am Zeitungstisch. Da saß ein eifriger Zeitungsleser,
    in den ›Hamburger Korrespondenten‹ ganz und gar
    versunken; plötzlich sah er auf und schrie: ›Sind
    Sie's wirklich, lieber Rösel?‹ – ›Ja, ich bin's, Exzel-
    lenz.‹ Es war mein alter Freund und Gönner, der
    Chefpräsident von Vincke aus Münster. Seine Umar-
    mung bei meinem Einsteigen in die Extrapost-Chaise
    gab mir in den Augen der Umstehenden ein gewalti-
    ges ›Basrelief‹, wie General Elsner zu sagen pflegte.
    An der nächsten Station hielt gleichzeitig mit mei-
    nem Postwägelchen ein stattlicher Reisewagen. Ein
    elegant gekleideter Reisender stieg aus, und siehe,
    es war der Hofbuchdrucker Rudolf Decker. Bald dar-
    auf kuckte mich auch sein Schätzellchen gar freund-
    lich an. Da gab's etwas zu erzählen, vom schönen
    Musikfeste in Düsseldorf, von den trefflichen jungen
    Künstlern daselbst usw. So plauderten wir von Stati-
    on zu Station bis Wittenberg, wo wir noch miteinan-
    der zu Abend speiseten und uns ein: ›auf Wieder-
    sehn in Berlin‹ zutranken. Denn ich wollte in Witten-
    berg übernachten, das junge Paar aber in einem
    Striche weiterrollen.
    Seit dem Wiederaufleben in Magdeburg esse und
    trinke ich mit gesundem Appetite, schlafe wie ein
    Murmeltier und fühle mich gesund und heiter wie ein
    Fisch im Wasser...«

    1977

    Am 8. Juli 1843 starb Rösel und wurde auf dem
    Bornstedter Kirchhof begraben. Die Chronik der Kö-
    niglichen Akademie der Künste brachte das Jahr dar-
    auf folgenden kurzen Nekrolog: »Johann Gottlob
    Samuel Rösel, geboren zu Breslau den
    9. Oktober 1768 (die Grabinschrift sagt 1769), wur-
    de am 14. Februar 1824 zum ordentlichen Mitgliede
    der Akademie gewählt. Schon vorher war er königli-
    cher Professor und Zeichenlehrer an der Bauschule.
    Als geistreicher Landschaftszeichner geschätzt, bis
    ins Alter von unverwüstlicher Heiterkeit und bei be-
    schränkten Mitteln unermüdlich im Wohltun, folgt
    ihm das ehrende Andenken zahlreicher Freunde.

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