Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Durchschnitts- und Alltagsbetrach-
tung ihre volle Berechtigung hat. Die Montmorencys
haben ihr Gesetz, und die Torf-Exploitierungs-
Gesellschaften haben es auch . Man kann nicht verlangen, daß diese beiden Gesetze untereinander
stimmen.1) Wer bis zwanzig Jahr ein Tuchmacher und
dann weitere zehn Jahr ein kleiner Krämer war, kann
nicht zugleich bei Roncesvalles gefochten oder König
Roberts Herz in einer silbernen Kapsel gen Jerusalem
getragen haben. Finanzielles und Romantisches, das
»Goldene Kalb« und das »Goldene Vlies«, sie schlie-
ßen einander aus, und im Schoße der merkantilen
Welt, ein paar glänzende Ausnahmen zugegeben, ist
es längst zum Axiom erhoben worden: was nicht
verboten ist, ist erlaubt. Freiherrn und Grafen gehor-
chen einem umgeschriebenen Kodex der Ehre, sollen
es wenigstens; der Torfgraf seinerseits kennt kein
anderes Gesetz der Ehre als – das Landrecht.
An diesem Gesetze gemessen, wird unser alter
Christian Gentz, und viele mit ihm, in Ehren beste-
hen. Es ist ein Fehler, wie schon eingangs bemerkt,
an Gestalten wie diese den sans-peur-et-sans-
reproche-Maßstab legen zu wollen. Jeder werd in
seinem Kreise treu und tüchtig befunden. Hier war der Kreis ein geschäftlicher und lag einerseits im Wustrauer Luch, andererseits auf den »Kahlenbergen«. Ein unendlicher Gottessegen ersproß an bei-
den Stellen aus der Urbarmachung von Sumpf und
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Sand, und war auch zunächst dabei nur ein Egoisti-
sches, nur das Ich gemeint, das Allgemeine durfte
bald daran teilnehmen. Überall aber, wo Segen ge-
boren wird, forsche man nicht allzu kritisch nach
dem Motiv, das ihn ins Dasein rief. Ein Kaufmann sei
ein Kaufmann und wolle gewinnen . Das ist nicht bloß sein Recht, sondern auch seine Pflicht.
Aber freilich, der überflügelte Dilettantismus ist auch auf diesem Gebiete stets geneigt, den strengsten
Kritiker abzugeben und nötigenfalls, so nichts andres
verfangen will, die Böller einer »höheren Sittlichkeit«
abzufeuern. Sie springen aber beim ersten Schuß.
Johann Christian Gentz starb am 4. Oktober 1867
und fand seine Ruhestätte auf dem alten Ruppiner
Kirchhof, innerhalb des Familienbegräbnisplatzes
»am Wall«. Dort ruht auch sein jüngerer Sohn Ale-
xander.
1. Es existiert ein natürlicher Gegensatz zwi-
schen dem Chevaleresken und dem Merkanti-
len, der natürliche Gegensatz von Geben und
Nehmen . Schon der einfache Kalkül: »Ich
kaufe zu 1 und verkaufe zu 2«, enthält ein
Etwas, das dem noblesse oblige widerstreitet,
dem überall, wo es echt ist, die Neigung in-
newohnen muß, den vorstehenden Rech-
nungssatz umzukehren. In den höchsten
Handelssphären haben sich freilich diese Ge-
gensätze von Geben und Nehmen gelegent-
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lich versöhnt, und die Kaufhäuser erwiesen
sich dann den Fürstenhäusern verwandt in
denen sich die Gewinnfragen zu Kulturfragen
gestalteten. Aber so gewiß es in Jahrhunder-
ten, die nicht allzuweit zurückliegen, solche
Handelshäuser gegeben hat, so gewiß ist es
doch auch, daß unsere Sandmark – von Berlin
selbst ist abzusehen – jederzeit der unglück-
lichste Boden für sie gewesen ist. Hier war,
als Regel, immer nur der Kleinhandel zu Hau-
se, der, bis in die neueste Zeit hinein, seine
Normen weder aus Venedig und Florenz noch
aus Amsterdam und dem alten Hansa-Lübeck
entnehmen konnte.
11. Wilhelm Gentz
I
In Ruppin. Kindheit. Jugend
(Von 1822 bis 1843)
Wilhelm Gentz, der ältere Sohn Christian Friedrich
Gentz', wurde den 9. Dezember 1822 zu Neuruppin
geboren. Er besuchte das Gymnasium seiner Vater-
stadt, das damals unter Leitung Direktor Starkes,
eines ausgezeichneten Griechen- und Aristoteles-
Kenners, eine Glanzepoche hatte, wenigstens nach
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der höheren wissenschaftlichen Seite hin. Die Ver-
waltung freilich war schwach und wog die sonstigen
Vorzüge fast wieder auf. W. Gentz absolvierte, trotz
schon früh erwachter künstlerischer Neigung, sein
Abiturientenexamen Ostern 1843. In autobiographi-
schen Aufzeichnungen, die mir vorliegen, hat er, wie
über anderes, so auch über seine Kinder- und Kna-
benjahre, die Gymnasialzeit mit eingerechnet, in der
ihm eigenen Weise berichtet. An diesen Aufzeich-
nungen Änderungen vorzunehmen, habe ich mich
wohl gehütet. W. Gentz gehört zu den Erzählern,
denen beim Erzählen »immer noch was einfällt« und
die diesen Einfällen dann auch Ausdruck geben. Da-
durch entsteht eine Vortragsweise, die der
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