Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der, oft umschla-
gend, bald wie ein Gefährte plaudernd, neben uns
hergeht, bald wie ein junger Bursche uns entgegen-
springt, so wäre die Einsamkeit vollkommen. Die
Sonne brennt heiß, und nach verhältnismäßig kur-
zem Marsche schon machen wir halt in einem der
vielen Gräben, die sich neben der Straße hinziehen.
Wie uns die kurze Rast erquickt! Der Weidenstamm
gönnt eine bequeme Rückenlehne, und die herab-
hängenden Zweige schützen gegen den Anprall der
Sonne. Auch für Unterhaltung ist gesorgt; das
Stilleben der Natur tut sich auf, die Goldkäfer hu-
schen durch das abgefallene Blattwerk, und die
Feldmäuse, vorsichtig und neugierig wie auf der Re-
kognoszierung, stecken die Köpfchen aus den Lö-
chern hervor, die sich zahllos zu beiden Seiten des
Grabens befinden. In dem Sumpfwasser zu unserer
Linken beginnen inzwischen die Unken ihre Mittags-
melodien. Wie das ferne Läuten weidender Herden
klingt es, und zum erstenmal verstehen wir die Sage
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von den untergegangenen Städten und Dörfern, de-
ren Glocken um die Mittagsstunde leise nach oben
klingen. Wir lauschen auf, aber es bangt uns mehr
und mehr vor dem unheimlich einschmeichelnden
Getöne, und rasch aufspringend, marschieren wir
rüstig weiter in die brennende Mittagsstille hinein,
dankbar gegen den jetzt wieder entgegenkommen-
den Wind, der uns das Gesicht kühlt und die verfol-
genden Unkenstimmen mit in unsern Rücken nimmt.
So erreichen wir bald den mit Nadel- und Laubholz
bestandenen Sandrücken, der, als wir die Nauener
Mühlen passierten, wie eine Coulisse vor uns stand,
waten geduldig durch den heißen mahlenden Sand
des Fahrwegs hindurch und treten endlich aufatmend
in die südliche Hälfte des Havellandes ein. Aufat-
mend – denn kaum die Tannen im Rücken, ist es
uns, als wehe uns eine feuchte Kühle an, wie von der
Nachbarschaft eines breiten Stroms, und doch ist es
noch eine volle Meile bis an die Buchtung der schö-
nen Havel.
Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine
halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unsere heuti-
ge Wanderung gilt. Seine schindelgedeckte Kirch-
turmspitze liegt schon wie greifbar vor uns, und dem
Ziele unserer Reise uns näher wissend, spannen sich
jetzt die Kräfte wie von selber an, Frische kehrt zu-
rück, und noch ehe der Vorrat unsrer Wanderlieder
dreimal durchgesungen, marschieren wir fröhlich und
guter Dinge in das alte malerische Dorf hinein.
Alles verrät Wohlhabenheit, aber zugleich jenen be-
scheidnen Sinn, der sich in Treue und Anhänglichkeit
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an das Überlieferte äußert. Das Dorf ist noch ein
Dorf; nirgends das Bestreben, ins Städtische hinein-
zuwachsen und aus der schmalen Bank unterm Fens-
ter eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe
und die Schwalbe am Dache sind noch die eigentli-
chen Hausmusikanten, und die Bauerntöchter, die
eben ihr Geplauder unterbrechen und mit ruhiger,
nirgends von Gefallsucht zeugender Neugier dem
Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von
jener dünnen Pensionstünche, die so leicht wieder
abfällt von der ursprünglichen Stroh- und Lehm-
wand.
Die Kirche des Dorfs, am entgegengesetzten Ende
gelegen, entzieht sich unsrem Auge, seit wir in die
Dorfgasse eingetreten, aber die Bilder und Szenen
um uns her lassen uns auf Augenblicke vergessen,
daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes
war, was uns hierher führte. Die Bilder wechseln von
Schritt zu Schritt. Hier stellt sich ein alter Fachwerkbau, von einem schmalen Gartenstreifen malerisch
eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorf-
gasse hinein und teilt den Fahrweg in zwei Hälften,
wie eine Insel im Strom; dort an den Zäunen entlang
liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder
beim Anschlagspiel lugen mit halbem Kopf über die
Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen
der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsschatten
voll und breit auf die Dorfgasse, und wir schreiten
frisch und aller Müdigkeit bar darüber hin, als lägen
Binsenmatten vor uns ausgebreitet. So haben wir
das Dorf passiert, und auf leis ansteigendem Hügel
erblicken wir endlich die Kirche wieder, in die der
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eben herzukommende Küster uns nun freundlich und
willfährig einführt.
Das Innere der Kirche ist wie das Dorf selbst:
schlicht und einfach, wohlhabend, sauber, eine wah-
re Bauerndorfkirche, aber doch anders, wie sonst
solche Kirchen zu sein pflegen. Denn die Gotteshäu-
ser
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