Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Herren, Fünfziger, mit großen melierten Ba-
ckenbärten, Lebemänner aus der Schicht der aller-
neusten Torf- und Ziegelaristokratie, sprangen mit
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berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und gaben
dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Re-
siduum der Gesellschaft besser überfliegen zu kön-
nen. Das meiste war Staffage, bloße Najaden und
Tritonen, die als Beiwerk, auch wohl als Folie not-
wendig dasein müssen, wenn Venus aus den Wellen
steigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber
konnte kein Zweifel sein. Sie war dreißig, überthron-
te das Ganze, trug das Haar kurz geschnitten à la
Rosa Bonheur und hielt eine große italienische Laute
auf ihren Knien. Übrigens war sie wirklich hübsch;
alles im Brunhilden-Stil; dieselbe weiße Hand, die
jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebi-
gen Stein fünfzig Ellen weit geschleudert.
In diesem Moment, ehe ich noch den Kremser völlig
durchmustert hatte, erschien Boßdorf mit einem gro-
ßen Tablett. Es war ein Morgenimbiß, der für den
Rest des Tages einige Perspektiven eröffnete: vier
Kulmbacher, vier Werdersche, mehrere Cognacs und
eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht ist ein
Magnet – Boßdorf präsentierte der Lautenschlägerin
zuerst . Diese, ohne weiteres, machte eine halbe Schwenkung, glitt, nicht ohne einen Anflug von Entsagung, über die kleinen Gläser hin, nahm eine
Kulmbacher, prüfte das Verhältnis von Schaum und
Saft und trank aus. Ohne abzusetzen. Als ihr Boßdorf
die Butterbrotseite des Tabletts zudrehte, nickte sie
abwehrend.
In kürzester Frist war übrigens das Tablett leer, nicht alle waren wählerisch; die Entrepreneurs eilten zu
ihren Plätzen, die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig
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streifte noch huldigend die Stirn der Primadonna; im
nächsten Augenblicke verschwand der Kremser in
einer Querstraße des Dorfes. Ich horchte ihnen nach.
Es war mir, als trüge der Wind herüber: »Im Wald,
im schönen, grünen Wald«, und dazwischen verlore-
ne Lautenklänge.
Ich war nun wieder allein und wollte bereits – was
immer einen äußersten Grad von Verlegenheit aus-
drückt – zu den »Territorien der Mark Brandenburg«,
einer Art märkischem Baedeker, meine Zuflucht
nehmen, als das Erscheinen unseres freundlichen
Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein
Ende machte und mich aus der toten Aufzeichnung in
das frisch pulsierende Leben stellte. Wir schlenderten
am See hin, das Dorf entlang, an Schloß und Park
vorbei; es war eine anmutige Vormittagsstunde, an-
regend, lebendig, lehrreich.
Caputh ist eines der größten Dörfer der Mark, eines
der längsten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile.
Daß es wendisch war, besagt sein Name. Was dieser
bedeutet, darüber existieren zu viele Hypothesen, als
daß die eine oder andere viel für sich haben könnte.
So zweifelhaft indes die Bedeutung seines Namens,
so unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armut seiner
Bewohner. Caputh besaß keinen Acker, und die gro-
ße Wasserfläche, Havel samt Schwielow, die ihm vor
der Tür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfischern,
deren alte Gerechtsame sich über die ganze Mittel-
havel bis Brandenburg hin erstreckten, eifersüchtig
gehütet und ausgenutzt. So stand es schlimm um die
Caputher; Ackerbau und Fischerei waren ihnen
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gleichmäßig verschlossen. Aber die Not macht erfin-
derisch, und so wußten sich denn schließlich auch die
Bewohner dieses schmalen Uferstreifens zu helfen.
Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann
und Frau teilten sich, um von zwei Seiten her anfas-
sen zu können. Die Männer wurden Schiffer , die
Frauen verlegten sich auf Gartenbau .
Die Nachbarschaft Potsdams, vor allem das rapide
Wachstum Berlins waren dieser Umwandlung, die
aus dem Caputher Tagelöhner einen Schiffer oder
Schiffsbauer machte, günstig, riefen sie vielleicht
hervor. Überall an Havel und Schwielow hin entstan-
den Ziegeleien, und die Millionen Steine, die jahraus,
jahrein am Ufer dieser Seen und Buchten gebrannt
wurden, erforderten alsbald Hunderte von Kähnen,
um sie auf den Berliner Markt zu schaffen. Dazu bo-
ten die Caputher die Hand. Es entstand eine völlige
Kahnflotte, und mehr als sechzig Schiffe, alle auf den
Werften des Dorfes gebaut, befahren in diesem Au-
genblicke den Schwielow, die Havel, die Spree. Das
gewöhnliche Ziel, wie schon angedeutet, ist die
Hauptstadt. Aber ein Bruchteil geht auch havelab-
wärts in die
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