Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Nachtlagers
nicht verschweigend.
Unser Führer (der Leser wird sich freundlichst seiner
entsinnen) sah mich leise vorwurfsvoll an und erwi-
derte dann ruhig: »Sie kennen Boßdorf nicht.«
»Nein.«
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»Nun, es ist Liebhaberei, daß er hier festsitzt. Er hat das beste Bier und die besten Betten. Von allem andern rede ich gar nicht. Boßdorf ist ein Name in die-
sen Gegenden.«
»Gut denn. Also Boßdorf!«
Diese Unterredung war zwischen Fährstelle und Dorf
geführt worden; als wir eben schlüssig geworden,
hielten wir vor dem Gegenstand unseres Gesprächs.
Er reichte vielleicht nicht voll an die Höhe heran, die ihm der Lokalpatriotismus unseres Freundes anzu-weisen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf der
Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichste aller
Wirtseigenschaften: er war freundlich. Sein Bier und
seine Rede lullten mich ein, und ich schlief bis an den hellen Tag. Nur einmal wacht ich auf; ich glaubte in
einem Trichter zu liegen (was auch zutraf) und hatte
geträumt, der Schwielow habe mich in seine Tiefe
gezogen.
Unter einem Lindenbaum in Front des Hauses wurde
der Kaffee genommen; die Spatzen musizierten über
mir; endlich, als sie ihren Mann durchschaut, hüpften
sie vom Gezweige nieder auf den Tisch und nahmen,
nach dem Maße meiner Guttat, an meinem Frühstück
teil. Ich konnt es ohne Opfer tun; es waren Semmeln
in großem Format. Jenseit des Staketenzaunes ging
das Leben des Dorfes still-geschäftig seinen Gang:
junges Volk, die Sense auf der Schulter, eilte zur
Mahd hinaus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem
Walde; Schiffersleute, in weiten Teerjacken, schrit-
ten auf den See zu. Ein anmutiges Bild. Ich verstand
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jetzt Boßdorf vollkommen und warum er hier fest-
sitzt.
Ein Wagen fuhr vor, ein vollgestopfter Kremser.
Vormittagsgäste; unverkennbar eine animierte Ge-
sellschaft. Ältliche Herren, junge Damen; aber nicht
zu jung.
Boßdorf sprang an den Wagen. Als er wieder an mir
vorbei wollte, suchte ich ihn zu fassen und fragte
leise: »Potsdamer?« Er aber – mit einer Handbewe-
gung, in der sich eine Welt widerstreitender Empfin-
dungen: Diensteifer und Geschmeicheltsein, Verle-
genheit und ironische Schelmerei, aussprach – ant-
wortete im Vorüberfliegen: » Berliner .«
Berliner. Es gereichte meiner Menschenkenntnis we-
nig zur Ehre, diese Tatsache auch nur einen Augen-
blick verkannt zu haben. Es war Vollblut. Dabei un-
verkennbar auf einer sogenannten » ernsten Partie«
begriffen.
Dieser Ausdruck mag einzelne meiner Leser überra-
schen; aber es hat seine Richtigkeit damit. Es gibt
zwei Arten von Landpartien. Da sind zunächst die
heiteren . Sie sind weithin kenntlich durch ihren starken Prozentsatz an Kindern; nie weniger als die Hälf-
te. In dem Moment der Landung, wo immer es sei,
scheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen
Mädchen mit rosa Schleifen zu bestehen. Die Väter
bestellen den Kaffee; das Auge der Mütter gleitet
befriedigt über die glücklichen Gänseblümchen hin,
von denen immer drei auf den Namen Anna und
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sechs auf den Namen Martha hören. Nun geht es in
die Wiese, den Wald. Die Parole ist ausgegeben:
Erdbeeren suchen. Alles ist Friede; die ganze Welt
ein Idyll. Aber schon beginnen die dunklen Wetter zu
brauen. Mit dem Eintritt in den Wald sind die weißen
Kleider ihrem Verhängnis verfallen. Martha I. ist an
einem Wacholderstrauch hängengeblieben, Mart-
ha II. hat sich in die Blaubeeren gesetzt – wie
Schneehühner gingen sie hinein, wie Perlhühner
kommen sie wieder heraus. Der Sturm bricht los.
Wer je Berliner Mütter in solchen Augenblicken gese-
hen, wird die kriegerische Haltung der gesamten
Nation begreiflich finden. Die Väter suchen zu inter-
venieren. Unglückliche! Jetzt ergießt sich der Strom
in sein natürliches Bett.
Und doch sind dies die heitren Landpartien, denen wir die ernsten entgegenstellen. An diesen letzteren
nehmen Kinder nie teil. Es gibt auch rote Schleifen, aber das Rosa ist Ponceau geworden. Man spricht in
Pikanterien, in einer Art Geheimsprache, für die nur
der Kreis der Eingeweihten den Schlüssel hat. Bowle
und Jeu lösen sich untereinander ab; unglaubliche
Toaste werden ausgebracht, und längst begrabene
Gottheiten steigen triumphierend wieder auf. Son-
derbar. Auf den heitren Landpartien wird immer ge-
weint, auf den ernsten Landpartien wird immer nur
gelacht.
Vor mir, am Staket, hielt eine ernste Landpartie.
Zwei
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