Wanderungen durch die Mark Brandenburg
auf dem Dampfer in langer
Reihe die »Werderschen« sitzen, ein Nähzeug oder
Strickzeug in den Händen und nichts vor sich als den
Schornstein und seinen Eisenkasten, auf dessen hei-
ßer Platte einige dreißig Bunzlauer Kaffeekannen
stehen. Denn die Nächte sind kühl, und der Weg ist
weit.
Eine Viertelstunde noch, und Dampfer und Havel-
kahn verschwinden in dem Défilé bei Baumgar-
tenbrück; der Schwielow nimmt sie auf, und durch
das »Gemünde« hin, an dem schönen und langge-
streckten Caputh vorbei, geht die Fahrt auf Potsdam
zu, an den Schwänen vorüber, die schon die Köpfe
eingezogen hatten und nun unmutig hinblicken auf
den Schnaufer, der ihren Wasserschlaf gestört.
Bei Dunkelwerden Potsdam, um Mitternacht Span-
dau, bei Dämmerung Berlin.
Und eh der erste Sonnenschein um den Marienkirch-
turm blitzt, lachen in langer Reihe, zwischen den
Brücken hin, die roten Knupper der Werderschen.
2255
Glindow
Hier nährten früh und spat den Brand
Die Knechte mit geschäft'ger Hand;
Der Funke sprüht, die Bälge blasen,
Als gält es, Felsen zu verglasen.
Schiller
Was Werder für den Obst konsum der Hauptstadt ist, das ist Glindow für den Ziegel konsum. In Werder wird gegraben, gepflanzt, gepflückt – in Glindow wird
gegraben, geformt gebrannt; an dem einen Ort eine
wachsende Kultur, am andern eine wachsende In-
dustrie, an beiden (in Glindow freilich auch mit dem
Revers der Medaille) ein wachsender Wohlstand. Da-
zu steht das eine wie das andere nicht bloß für sich
selber da, sondern ist seinerseits wiederum eine
»Metropole«, ein Mittelpunkt gleichgearteter und
zugleich widerstrebender Distrikte , die es fast geboten erscheinen lassen, nach Analogie einiger Schwei-
zer Kantone, von Werder-Stadt und Werder-Land
oder von Glindow-Dorf und Glindow-Bezirk zu spre-
chen.
Bei Werder haben wir diesen Unterschied übergan-
gen; bei Glindow wird es dann und wann unvermeid-
lich sein, auf ihn Bezug zu nehmen. Deshalb an die-
ser Stelle schon folgendes: Distrikt Glindow ist etwa
zwei Quadratmeilen groß (vier Meilen lang und eine
2256
halbe Meile breit) und zerfällt in ein Innen- und Au-
ßenrevier, in einen Bezirk diesseit und jenseit der
Havel. Das Innenrevier »diesseit der Havel« ist alles
Lehm- und Tonland und umfaßt die gesamten Terri-
torien am Schwielow-, am Glindow- und Plessow-
See; das Außenrevier oder das Revier »jenseit der
Havel« ist neuentdecktes Land und dehnt sich vor-
zugsweise auf der Strecke zwischen Ketzin und
Tremmen aus. Dies Außenland, abweichend und ei-
genartig, behauptet zugleich eine gewisse Selbstän-
digkeit und zeigt eine unverkennbare Tendenz, sich
loszureißen und Ketzin zu einer eigenen Hauptstadt
zu machen. Vielleicht, daß es glückt. Vorläufig aber
ist die Einheit noch da, und ob der Tag siegreicher
Sezession näher oder ferner sein möge, noch ist Glindow1) Metropole und herrscht über Innen- und
Außenrevier.
Die Bodenbeschaffenheit, das Auftreten des Lehms
ist diesseit und jenseit der Havel grundverschieden.
Im Innenrevier tritt der Lehm in Bergen auf, als Berglehm, und wenn wir uns speziell auf die wichtige
Feldmark Glindow beschränken, so unterscheiden wir
hier folgende Lehmberge: den cöllnischen, zwei
brandenburgische (Altstadt, Neustadt), den ca-
puthschen, den schönebeckschen, den Invaliden-
berg, den Schloßbauberg, zwei Kurfürstenberge (den
großen und den kleinen), den plaueschen, den mö-
senschen, den potsdamschen. Die drei letztgenann-
ten liegen wüst, sind tot. Die andern sind noch in
Betrieb. Ihre Namen deuten auf ihre früheren Besit-
zer. Berlin-Cölln, Brandenburg, Potsdam, Caputh,
Schönebeck hatten ihre Lehmberge, der Invaliden-
2257
berg gehörte dem Invalidenhause etc. Diese Besitz-
verhältnisse existieren nicht mehr. Jene Ortschaften
haben sich längst ihres Eigentums entäußert, das
inzwischen in die Hände einiger Ziegellords überge-
gangen ist. Die meisten sind in Händen der Familie
Fritze.
Der Lehm in diesen Bergen ist sehr mächtig. Nach
Wegräumung einer Oberschicht, »Abraum« genannt,
von etwa dreißig Fuß Höhe, stößt man auf das Lehm-
lager, das oft eine Tiefe von achtzig bis hundert Fuß
hat. Der Lehm ist schön und liefert einen guten
Stein, aber doch keinen Stein ersten Ranges. Die
Hauptbedeutung dieser Lager ist ihre Mächtigkeit,
annähernd ihre Unerschöpflichkeit. Dabei mag als
etwas Absonderliches hervorgehoben werden,
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