Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Dinge nicht gleichgültig fort, und wenn
auch selbstverständlich die großen Geschichtsbücher
nicht Zeit und Platz haben, ein Aufhebens davon zu
machen, so tuen es doch die Kirchen und Krypten
überall da, wo solche Schwertmagen und Kriegsgur-
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geln zu Hause waren. Und da gibt es denn immer
allerlei Fahnenfetzen und zerbröckelte Feldmar-
schallsstäbe, Kettenkugeln und Stulpstiefel, und un-
ter Umständen auch wohl rostige Degen, mit denen
ein Bruder den andern über den Haufen gestochen.
Ist denn gar nicht so was hier? Es ist doch eigentlich
gênable für eine berühmte alte Familie, wenn all
dergleichen bei Toten und Lebendigen fehlt. Es darf nicht fehlen. Es muß dergleichen geben.«
»Und es hat auch dergleichen gegeben. Hier in dieser Kirche. Wenn ich sage ›dergleichen‹, so mein ich
nicht Degen mit Brudermord, denn ich will mir nichts
an den Hals reden. Aber Grabsteine mit Inschriften
und Engelsköpfen, und einen kupfernen Sarg mit
einem Kuckfenster oben, all das und manch andres
noch war da. Darüber ist kein Zweifel.«
»Und Sie haben das alles selber noch gesehn?«
»Oh, nein. Es war das alles lange vor meiner Zeit,
und das wenige, was ich davon weiß, weiß ich von
unserm alten Emeritus und von der Mutter Rent-
schen, die noch die frühere Steinkirche gekannt hat
und mal mit unten in der Gruft war, als sie die Särge
schoben und zusammenrückten, um Platz für den
letzten zu schaffen. Denn die Pieskowschen gingen
eher ein als die Saarowschen. Und der mit dem
Kuckfenster habe ganz bös ausgesehn und den Kopf
geschüttelt, als ob er's nicht leiden wolle. Denn er sei schon bei Lebzeiten immer sehr stolz gewesen und
habe sich nicht gerne beiseite schieben lassen. Es ist
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natürlich alles Dummheit und ungebildet, aber die
Leute machen sich nun mal solche Geschichten.«
»Und tuen auch recht daran. Es liegt doch immer
was drin. Und ist denn die Gruft nicht mehr da? Den
mit dem Kuckfenster säh ich gerne.«
»Nein, die Gruft ist nicht mehr da, sie haben sie zu-
geschüttet. Aber hier rechts neben dem Altar, wenn
Sie mit Ihrem Stock aufklopfen wollen, da können
Sie's noch deutlich hören. Es klingt alles hohl.«
Ich ließ auf diese Weisung hin meinen Stock auch
wirklich fallen, und als ich mich überzeugt hatte, daß
er recht habe, dankt ich ihm und verließ die Kirche
mit dem Hoch- und Vollgefühle, die Löschebrandsche
Gruftstelle nicht bloß hypothetisch ermutmaßt, son-
dern sie mit Hülfe des »hohlen Klanges« über jeden
Zweifel hinaus historisch festgestellt zu haben.
Es war nun Zeit, mich nach unsrem Wagen umzu-
sehn, und ich hatt auch nicht lange danach zu su-
chen. Er hielt drüben an der andern Seite des Kirch-
platzes, vor einem sehr niedrigen Hause, von dessen
Dache sich das Moos mit der Hand wegfegen ließ. Es
war ganz ersichtlich der Krug, auch ein Schild
schimmerte herüber, aber die Pferde waren nicht
ausgespannt und fraßen einfach aus einer Stehkrip-
pe. Neben der Tür bemerkt ich Moll, und als er mich
kommen sah, kam er mir entgegen und lüpfte me-
lancholisch den Hut.
»Ich dachte, Sie wollten ausspannen, Moll.«
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»Ich wollt auch. Man bloß es ging nicht. Is das eine Gegend! In Saarow is nichts, das kenn ich, und hier
in Pieskow is gar nichts.«
»Aber die Leute werden hier doch einen Stall ha-
ben?«
»Is schon richtig. Aber keinen Pferdestall. Alles, was
sie haben, is 'ne Ziege un, wenn's hoch kommt, 'ne
Kuh. Und wer ein paar Pferde hat, na, der hat auch
ein bißchen Acker und krügert nich und hat nich
Lust, zu dienern und zu katzenbuckeln und einem
groben Knecht einen doppelten Bittern einzuschen-
ken.«
»Ich versteh. Aber wissen Sie, mich friert hier trotz
aller Sonne. Kommen Sie, Moll, wir wollen es drin
versuchen. Es wird doch wohl warm sein.«
Und so traten wir in die Krugstube.
Drinnen war es auch wirklich warm. Aber außer der
dicken Luft rührte sich nichts, trotzdem sich drei
Menschen in der Stube befanden. Auf einer Ofen-
bank, die Füße weit vorgestreckt, saß eine Frau von
vierzig oder mehr und hatte beide Hände hoch unter
ihre Schürze gelegt, als verberge sie was. Es war
aber nur Angewohnheit. Ihr zur Seite rekelte sich
ihre vierzehnjährige Tochter, ein hübsches, schlank
aufgeschossenes Ding, und beschäftigte sich damit,
einen blauen Wollfaden um ihren Zeigefinger herum-
und dann wieder abzuwickeln. Am erfreulichsten war
das jüngste Mitglied der Familie, das
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