Wanderungen durch die Mark Brandenburg
noch
seine jüngere Schwester, nahm rasch ein zweites
Ruder und setzte sich neben ihn. Ich sah bald, daß
der Junge seiner Sache vollkommen sicher war und
den Schermützel ohne sonderliche Mühe bezwingen
würde, trotzdem uns der Wind entgegenwehte.
Dieser, anstatt stärker zu werden, wurde schwächer,
aber je mehr er sich legte, desto blendender wurde
die Sonne, so daß ich im Sonnenlicht, das überallhin
flimmerte, bald nichts weiter sah als das Eingreifen
der Ruder und die klugen und energischen Köpfe der
beiden Kinder. Es entging ihnen auch nicht, daß sie
mir gefielen, aber ich sagte nichts, und wir waren
schon bis über die Mitte des Sees, als ich endlich
fragte:
»Wie tief ist denn eigentlich euer See?«
»Na, wie uns' Huus.«
»Oh, mihr, mihr«, flüsterte die Schwester.
»Und könnt ihr denn auch schwimmen? Oder du we-
nigstens?«
»Nei.«
»Ja, da kannst du ja mal ertrinken.«
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»Oh, ick wihr doch nich.«
»Nu nimm mal an, wenn euer Boot umkippt.«
»Uns' Boot kippt nich.«
Und dabei sahen sie sich an und kicherten und ru-
derten weiter.
Eine Weile verging so, während der Junge nachzu-
sinnen schien, was nun er wohl zur Unterhaltung beisteuern könne. Dann sah er mit eins in die Höh
und sagte: »Dat 's 'ne Möw.«
»Freilich. Ich kenne Möwen. Aber woher kennst du
sie? Sie sind ja nur selten hier.«
»Wi hebben een.«
»Lebendig?«
»Ne, utstoppt. Und wi hebben ook en Reiger, un is
ook utstoppt un hat 'ne Schlang in 't Muul.«
»Aber Vögel ausstopfen ist nicht leicht. Wer macht
denn das hier?«
»Mien' Vader sien Vader. De künn all so wat.«
»Ist er tot?«
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Er nickte. Da wir aber bereits in der Nähe des dich-
ten Schilfufers waren, an dem er den Einfahrtspunkt
nicht verfehlen durfte, so schwieg er jetzt und sah
bei jedem Ruderschlage nach rückwärts. Und nun
war er heran, gab dem Boote geschickt eine Wen-
dung und glitt zwischen dem knisternden Schilf hin
auf die Pieskower Landungsstelle zu.
Das Ufer war nicht hoch und erkletterte sich leicht.
Als ich oben war, grüßt ich noch einmal zurück und
schlenderte dann zwischen zwei Heckzäunen hin auf
einen Grasplatz zu, der allem Anscheine nach die
Mitte des Dorfes bildete. Häuser und Gehöfte faßten
ihn ein, unter denen ich gerade der Kirche gegen-
über auch ein preußisches Schulhaus in seiner eigen-
tümlichen Mischung von Backsteinsauberkeit und
Stiljammer erkannte. Die Nachmittagssonne stand
prall auf die Scheiben und sah stechend und inspek-
tionsmäßig in die langweilig leeren Räume hinein.
Es kam niemand, als ich klopfte. »Wohnt hier der
Lehrer?« fragt ich endlich eine vorhergehende Frau.
»Geihen S' man in 'n Goarden.« Und richtig, da
stand er in Front eines Bienenschobers und grub ein
von ein paar kleinen Kirschbäumen eingefaßtes
Stück Land um.
Ich fand einen freundlichen Mann, der auch gleich
bereit war, mir das zu zeigen, um was sich's einzig
und allein für mich handeln konnte: die Kirche. Diese
war keine von den altehrwürdigen aus Feldstein, die
stets einen Reiz und eine Schönheit haben, sondern
ein Neubau, den man hier unter Benutzung der alten
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Fundamente vor länger oder kürzer errichtet hatte.
Von rechts her lehnte sich ein Turm an, eigentlich
nur ein Türmchen von der Art, wie man ihnen auf Weinbergen und Wirtschaftshöfen als Eingang in
Sprit- oder Eiskeller begegnet.
Es war also mit nur geringen Erwartungen, daß ich
die Kirche betrat. Aber freilich auch dies Wenige soll-
te kaum erfüllt werden. An der einen Wand hingen
ein paar Totenkronen und Immortellenkränze, wäh-
rend über dem Altar ein Abendmahlsbild paradierte,
darauf Judas um kein Haarbreit schlimmer aussah
als die zwölf andern, Christus mit eingerechnet. Ich
übersah rasch, daß hier wenig zu machen sei, wollt
aber das Meine getan haben und sagte: »Sie wissen
doch, daß es früher eine Löschebrandsche Kirche war
und daß viele Löschebrands hier begraben wurden?«
»Ich habe davon gehört, unser alter Emeritus...«
»Und da wundert es mich, hier nichts als kahle Wän-
de zu finden. Einer aus der Familie war mit Feldmar-
schall Illo verschwägert, ein andrer fiel bei Fehrbel-
lin, und ein dritter soll sich gegen die Türken ausge-
zeichnet und dem Köprülü die große Prophetenfahne
mit eigner Hand entrissen haben. Ich nenne nur die-
se drei. Nach meinen Erfahrungen nun auf diesem
Gebiete geht man in unsren märkischen Familien
über solche
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