Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Größe zu empfangen oder zu gewähren hat.
2355
Nur nach dem Resultat dieser Berechnung werden
die Preise verteilt, so daß es vorkommen kann, daß
das drittschnellste Boot leer ausgeht und das dritt-
langsamste gewinnt.«
»Es würde mich freuen, an einer dieser Regatten
teilnehmen zu dürfen.«
»Da lad ich Sie auf nächstes Jahr an Bord der
›Sphinx‹. Sie sollen uns willkommen sein. Ja, es ist
ein Vergnügen, wie es kein größeres gibt, solche
Wettfahrt mit vollen Segeln, zumal wenn es stark
windet und nun allerhand Unberechenbarkeiten hier
zu Havarien führen, dort Boot und Mannschaft mit
Niederlage bedrohen. So das letzte Mal. Wir muster-
ten einunddreißig Fahrzeuge, ein wundervoller An-
blick; aber nur fünfundzwanzig erreichten das Ziel.
Die anderen sechs hatten Schiffbruch gelitten. Der
›Elektra‹, unserem schönsten und größten Boot,
brach der Mast glatt über Deck ab und stürzte samt
der Takelage in den Seddin-See; der ›Styx‹ rannte
fest; der ›Forelle‹ platzte von dem mächtigen Segel-
druck die Wantenverbolzung und hob sich aus dem
Schiffskörper heraus; der ›Sturmvogel‹ zog Wasser
und mußte Gummiplatten auf die Lecks nageln, um
sich zu halten. Ein nicht geringerer Unfall traf die
›Undine‹. Ihr riß der Leitwagen aus, der das Segel
hält, und zwar gerad in dem kritischen Moment des
Lavierens. Aber Willy Krüger, der sie führte, setzte
sich als lebender Ballast auf den Leitwagen und ließ
sich halb durch die Wellen schleppen. So glückte es
ihm, die Regatta wenn nicht siegreich, so doch
ruhmreich mit auszusegeln.«
2356
»Das klingt gut. Es würde mich nach dem allen kaum
wundernehmen, Ihren Seglerklub zu einer Vorschule
für unsere Flotte heranwachsen zu sehen.«
»Ich sage dazu nicht nein. Ein jeder nach seinen
Kräften. Wie Sie wissen, haben die Mittelgrafschaften
Englands ihren vollen Anteil an dem Flottenruhm der
Nation. Lord Nelson war ein Predigerssohn. Das Bin-
nenland hat die Sehnsucht nach der See, und aus
dieser Sehnsucht erwächst immer das Beste. Nicht
aus der alltäglichen Routine. Wollen Sie glauben, daß
wir zwischen »Café Lubow« und der Krampenbaude
mehr als einen Chinafahrer ausgebildet haben?«
»Sie scherzen.«
»Durchaus nicht. Ich nenne Namen. Einer dieser
Chinafahrer war Viktor von Graefe, der, zu Mehrung
des von Vater und Bruder her ererbten Ruhmes, das
Seine getreulich beigetragen hat. Wenigstens nach
unserer Vorstellung.«
»Und zwar als Chinafahrer?«
»Gewiß. Es mögen jetzt zwanzig Jahre sein, daß er in
Stettin eine Brigg bauen ließ, sie befrachtete und mit
ihr nach England ging. Er war Schiffsreeder und Ka-
pitän zugleich. Mit ihm war unser alter Eichmann, ein
Freund und Klubgenosse, der die Dienste eines Steu-
ermanns versah. In England wurde die Fracht ge-
wechselt; dann ging es in großer Tour erst bis Cey-
lon, dann von Ceylon bis Hongkong. In den ostasiati-
schen Gewässern verblieben die Freunde längere
2357
Zeit, wurden für die Linie Singapore-Kalkutta gechar-
tert und befuhren dieselbe eine Reihe von Malen.
Ihre Ladung war abwechselnd Tee und Reis. Sie ver-
dienten ein bedeutendes Stück Geld und trafen nach
Ablauf von dritthalb Jahren wohlbehalten an unserer
pommerschen Küste wieder ein. Ihre Studien zu sol-
cher Weltumsegelung aber – denn ich glaube fast,
daß sie ihren Rückweg um das Kap Hoorn nahmen –
hatten sie auf der Müggel und dem Seddin-See ge-
macht.«
Unter solchem Geplauder war Mitternacht herange-
kommen; die Lichter am Ufer hin erloschen, nichts
leuchtete mehr als die Johanniskäfer im Gebüsch und
die Sterne zu unseren Häupten. Die Frische des A-
bends steigerte sich zu nächtlicher Kühle, und ein
Frösteln überlief uns, trotzdem längst energischere
Getränke an die Stelle des von Mudy präsentierten
Tees getreten waren. Kapitän Backhusen mahnte
zum Aufbruch. In der Kajüte drückte noch die
Schwüle des Tages, so daß wir übereinkamen, die
Tür nicht zu schließen. Zum Schutze gegen Mücken
und Motten wurde dicht am Steuer ein Windlicht auf-
gestellt, das wir unmittelbar darauf von all den Un-
holden umschwärmt sahen, die ohne diese Vor-
sichtsmaßregel unsere Nachtruhe gestört haben
würden. So aber schliefen wir unbelästigt unserem
ersten Reisetag entgegen.
2358
Von Köpenick bis Dolgenbrodt
(Erster Reisetag)
Als ich erwachte, war es heller Tag; die schon ziem-
lich hoch stehende Sonne füllte die
Weitere Kostenlose Bücher