Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Kapitän Backhusen, im allgemeinen
kein Mann der Rede, war plötzlich in seinem Element
und nahm gern das Wort.
»Ich weiß nicht, um welche Zeit der Klub ins Leben
trat, aber seit einer Reihe von Jahren ist er da. Er
2352
hat wohl an hundert Mitglieder oder mehr, und die
Zahl seiner Boote wird nicht geringer sein. Zwischen
Treptow und dem ›Eierhäuschen‹ ankert seine Flottil-
le, die eine Musterkarte schöner und lieblicher Na-
men aufweist: ›Sturmvogel‹ und ›Greif‹, ›Komet‹
und ›Blitz‹, ›Libelle‹ und ›Forelle‹, ›Undine‹ und ›Al-
batros‹. Wir haben Korsos und Regatten, Preisrichter
und Preisverteilungen! Chronometer, Flaggen und
Becher. Der große Ehrenbecher muß von Jahr zu
Jahr immer neu erworben werden; da dies selten
glückt, so wandert er meist von Hand zu Hand. Aber
das weckt keinen Neid; es herrscht eben ein kame-
radschaftlicher Geist.«
»Die Folge gemeinschaftlich überstandener Gefah-
ren.«
»Was Sie scherzhaft aussprechen, trifft doch schließ-
lich im Ernste zu. Aller Sport, der sonst nur Spiel
wäre, hat seine Gefahr, aber keiner mehr als der
Segelsport. Ob es an uns liegt oder an der Perfidie
unserer Gewässer, laß ich dahingestellt sein; nur
soviel, es vergeht kaum ein Jahr, wo nicht die Spree
hierherum ihr Opfer fordert. Und immer nimmt sie
uns die Besten. Ein solcher war auch Heinecke, der
auf Neu-Spreeland wohnte, unser Seglerveteran.
Dazu aller Menschen Freund. Er hatte ein neues Boot
bauen lassen, fuhr hinaus, kenterte und ertrank. Das
machte einen großen Eindruck. ›Wenn das dem passieren konnte‹, sagte sich jeder und sah einen Au-
genblick mißtrauisch auf die eigene Kraft.«
2353
»Und der Unfall ereignete sich hier, auf der Spree
selbst?«
»Nein, weiter aufwärts, auf der Müggel. Sie ist das
tückischste unter allen Wässern. Geradeso tückisch,
wie sie unschuldig aussieht. Plötzlich springt ein
Wind auf, wirft sich in die Segel und legt das Boot
auf die Seite. Wer sich dann an Mast und Planke hält,
der mag gerettet werden; wer es aber durch eigene
Kunst ertrotzen will, der ist verloren. Er verfitzt sich im Kraut und geht in die Tiefe. Die guten Schwimmer
und die guten Segler, gerade sie sind es, die der Müggeltücke verfallen.«
»Aber muß es denn immer die Müggel sein?«
»Nein. Es ist freilich die schönste Wasserfläche weit
und breit, nicht zu sprechen davon, daß die Gefahr
ebenso anzieht, wie sie schreckt. Aber dennoch ist
das Ansehen der Müggel im Niedergehen. Sie muß
mindestens die Herrschaft teilen. Wir bevorzugen
jetzt die Wendische Spree. Dort finden auch unserer-
seits die Regatten statt, deren ich schon flüchtig ge-
gen Sie erwähnte.«
»Man hört so selten davon.«
»Gewiß. Die Berliner haben keinen Sinn dafür. Man
merkt ihnen nicht an, daß sie von den Fischerwenden
abstammen. Aber was sie in ihrer Totalität vermissen
lassen, das suchen die einzelnen wieder auszuglei-
chen. Und diese einzelnen sind wir. Ich wollte, Sie
wären einmal zugegen, wenn der Mai anbricht und
2354
an unseren Ankerplätzen alles Leben und Erwartung
ist. Wir sind dann in derselben Erregung, wie wenn
Oxford und Cambridge an der Brücke von Twicken-
ham ihren Wettkampf führen.«
»Und der Schauplatz dieser Wettkämpfe ist jetzt die
Wendische Spree?«
»Ja, oder doch zumeist. Es ist dasselbe Terrain, das
Sie morgen kennenlernen werden. Trotz der Müggel
eine pompöse Wasserfläche; die Themse bietet
nichts Ähnliches. Bei ›Café Lubow‹, halben Wegs
zwischen Köpenick und Grünau, beginnt unsere Se-
gelbahn, durchschneidet der Länge nach den Langen
See und läuft dann an der Krampenbaude vorbei auf
unser Flaggenschiff zu, das, weithin sichtbar, im
breiten Seddin-See das ersehnte Ziel aller unserer
Anstrengungen bildet. Das Ziel und den Drehpunkt.
Jetzt, mit seitwärts gedrücktem Steuer, die Biegung
um das Flaggenschiff herum, und mit verdoppeltem
Eifer geht es die Segelbahn bis ›Café Lubow‹ zurück.
Eine Strecke von rund drei Meilen. Ich darf sagen, es
wird dabei mehr Kunst gezeigt, als mancher von uns
Spreefahrern erwarten möchte.«
»Und wer entscheidet über Sieg und Preis?«
»Die Schiedsrichter. Und dieses Schiedsrichteramt ist
nun freilich das Schwerste von allem. Es handelt sich
nämlich immer wieder darum, durch minutiöseste
Rechnungen festzustellen, wie viele halbe und viertel
Sekunden Vergütigung jedes Boot im Verhältnis zu
seiner
Weitere Kostenlose Bücher