Wanderungen durch die Mark Brandenburg
hatten,
gesellte sich, als einziger Nicht-Gentleman an Bord,
das Faktotum Mudy. Er vereinigte in sich alle niedri-
geren Schiffsgrade, vom Vollmatrosen bis zum Kajü-
tenjungen, und führte jeden dieser Titel nicht nur als
scherzhaften nom de guerre, sondern mit aller-
vollster Berechtigung. Mit dem Stoßruder in der
Hand hatte er sein halbes Leben auf Rüdersdorfer
Kalk- und Linumer Torfkähnen zugebracht. Seine
Dienste, wie immer die der Subalternen, waren un-
entbehrlich. Er war auch Koch.
Nach Begrüßung und Vorstellung durch den Kapitän
baten alle drei Herren, sich auf eine gute halbe
Stunde verabschieden zu dürfen, da eine meine ei-
genen Interessen mitberührende Frage, die der Ver-
proviantierung, noch zum Abschluß zu bringen sei.
Mudy werde mittlerweile die Honneurs machen,
wenn ich es nicht vorzöge, mich im Köpenicker
Schloßpark zu ergehen. Ich entschied mich für den
Park. Mudy blieb mir immer noch; man hat nirgends
so viel Zeit zu Personalstudien wie an Bord eines
Schiffes. Eine schmale Falltreppe führte mich ans
Ufer; dann, meine Richtung auf das Schloß zu neh-
mend, erreichte ich ein großes, von einem Kiesweg
eingefaßtes Wiesenrondell. Um diesen Kiesweg her-
um, in weiter gespanntem Bogen, wuchsen Busch-
werk und Unterholz auf, aus deren dichtem Gewirr
einzelne alte Bäume, Eichen und Akazien, empor-
stiegen. Die Akazien füllten die Luft mit Wohlgeruch.
Es war ein köstlicher Abend. In den Nischen des
Buschwerkes standen halbzerbrochene Sandsteinfi-
guren, Urnen und trauernde Engel, anzeigend, daß
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hier in halbvergessenen Tagen irgendein prinzeßli-
cher Vorleser, irgendein Mitglied von Hofstaat oder
Kapelle begraben worden sei. Nun schlugen die
Nachtigallen darüber. Eine dieser Begräbnisstätten –
nicht aus Pietät, sondern aus Gärtnerlaune – war von
einem Blumenbeet umgeben. Alles Grün fehlte; nur
Lilien, weiße und rote, drängten sich dicht durchein-
ander. Diese prätentiöse Pracht wirkte beinah un-
heimlich. Ein junges Köpenicker Paar ging an mir
vorüber, das vielleicht Auskunft geben konnte. »Wer
liegt hier?« fragt ich. »Da liegt der Flötenspieler«,
lautete die Antwort. Und dabei kicherten beide.
Ich schlenderte noch den Kiesweg auf und ab, als ich
meine Reisegefährten von der Schloßbrücke her zu-
rückkommen sah. Es folgten ihnen drei Paar Träger
mit großen Deckelkörben, die den angekündigten
Proviant herantrugen. Die Körbe über den schmalen
Steg hin direkt an Bord zu schaffen war unmöglich;
ihr Inhalt mußte also vom Ufer aus in Einzelstücken
herübergereicht werden, etwa wie sich Bauarbeiter
die Steine zureichen. Dies gab mir Gelegenheit, die
Verproviantierung der »Sphinx« im Detail kennenzu-
lernen. Der Eindruck, den ich davon empfing, war ein
gemischter, denn alles Tröstliche, was er mit sich
brachte, wurde durch ebensoviel Beängstigendes
balanciert. Durch welche Gegenden mußten wir
kommen, um zu solchen Vorsichtsmaßregeln ge-
zwungen zu sein! Es wurden eingeschifft:
120 Flaschen Tivolibier, 120 Flaschen Sodawasser,
30 Flaschen Bordeaux, 3 Filets, 2 Schock Eier,
1 Butterfaß, 1 Zuckerhut, 1 Baumkuchen, 6 Flaschen
Scharlachberger und 1 Dutzend Flaschen Champag-
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ner. Mehr noch als diese durch Zahl oder Gewicht
bemerkenswerten Quantitäten imponierte mir die
Liste der »Kleinigkeiten«; sie füllte einen halben Bo-
gen und wies über hundert Nummern auf. Ich zitiere
daraus nur folgendes: eine Muskatnuß, ein kleines
Reibeisen dazu, Salveiblätter, um Aal, und Dilldol-
den, um Schlei zu kochen. Alle diese Dinge, groß
oder klein, verschwanden ohne Schwierigkeit in dem
Rumpf des Schiffes; die Butter, das Fleisch erhielten
ihren Platz auf großen Eisblöcken, und eh eine halbe
Stunde um war, war auch die letzte Flasche »ge-
staut«.
Damit hatten die Vorbereitungen ihr Ende erreicht;
Ruhe trat an die Stelle der Arbeit, und während Mudy
im Vorderraum des Schiffes sich um den Tee bemüh-
te, saßen wir auf der Rundbank zwischen dem Steuer
und dem Kajüteneingang und plauderten.
Es war um die elfte Stunde; in der dunklen breiten
Wasserfläche spiegelten sich die Sterne, zugleich
auch die Lichter aus Häusern und Villen, die, im Grü-
nen halb versteckt, das Ufer des Flusses einfassen.
Ich fragte nach dem Schiff, nach seiner Bauart, nach
seinen Schicksalen, vor allem auch nach dem Seg-
lerklub, dem die »Sphinx« als eines der schönsten
Boote angehört.
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