Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Schlupfwinkel, den er zwei Jahre früher als
ein Flüchtling betreten und zunächst nur wie einen
Lagerplatz eingerichtet hatte, war längst ein ansehn-
liches Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und
Keller geworden, das nicht mehr inmitten einer
schilfüberwachsenen Insel, sondern im Zentrum ei-
nes von Garten- und Ackerstreifen durchzogenen
und von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaß-
ten Wiesenrondelles lag. Hier gruben und pflanzten
Mann und Frau wie die ersten Menschen, und als
endlich, nach zweimaliger Entscheidung, nach Leipzig
und Waterloo, wirklich der große Frieden kam und
Kahnis nun ehrenhalber sagen mußte: ›Hanne, jetzt
ist es Zeit‹, da senkte diese den Kopf und erklärte,
daß sie bleiben wolle. Das war es, was er zu hören
gewünscht hatte. Nun gestand er ihr auch, daß er
nicht aus allgemeiner Franzosenfurcht, sondern aus
ganz besonderer eifersüchtiger Sorge vor den Nan-
soutyschen Kürassieren auf die Insel gezogen sei.
Hanne machte kein Aufhebens von diesem Geständ-
nis. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und
entschlug sich aller tugendlichen Empfindsamkeit.
Viel Nachdenken war überhaupt nicht ihre Sache.
So gingen die Jahre. Die Kinder wuchsen heran, ver-
ließen Haus und Insel; endlich starb auch die Frau.
Kahnis stellte den Sarg auf sein bestes Boot und fuhr
quer über den See, um der Toten auf dem
Schmöckwitzer Kirchhof ein christliches Begräbnis zu
geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf
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fest, war er, der seit langen Jahren mehr mit Gott als
mit den Menschen gelebt hatte, in seinem Glauben
immer lebendiger geworden. Am Ufer warteten die
Träger, Schmöckwitzer Kossäten. Als sie den Sarg
niederließen, da, zum ersten Male, kam ein Schwan-
ken in sein Herz, und er erschrak, wenn er an die
Öde von Robins Eiland dachte; denn er war nun ganz
allein. Aber die Anhänglichkeit an den Boden, den er
sich errungen hatte, siegte auch diesmal, und gutes
Mutes kehrte er in seine Einsamkeit zurück. Die Insel
war seine Welt geworden.
Sein Leben blieb dasselbe: allwöchentlich fuhr er zu
Markt und bot seine Fische feil, wie er es vierzig Jah-
re lang getan hatte. Er war wohlgelitten in Köpenick;
sie kannten ihn alle; und nur zuzeiten blieb er aus.
Dann lebte er mit den Köpenickern in Fehde. Oft um
kleiner Dinge willen, aber auch um großer. 1848 ließ
er sich ein halbes Jahr lang nicht sehen und kam erst
wieder, als ›Vater Wrangel‹, dessen Bild er damals
mit einer breiten Goldborte an die Stubentür klebte,
seinen siegreichen Einzug gehalten hatte. Die Köpe-
nicker, als sie ihn wiedersahen, vergaßen allen politi-
schen Hader und sagten nur: ›Alte Leute sind wun-
derlich.‹ Meine Geschichte geht zu Ende. – Es war
am ersten Sonnabend des Monats Oktober 1850.
Kahnis blieb aus. Die Köpenicker rechneten nach,
worin sie's wohl wieder versehen haben könnten,
konnten aber nichts finden. Daß Kahnis einmal eines
von ihm und seiner Laune ganz unabhängigen Zwi-
schenfalles halber fehlen könne, das fiel niemanden
ein. Darin waren die Schmöckwitzer klüger. Diese,
als er Tages darauf in ihrer Kirche fehlte, wußten,
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was geschehen war. Sie fuhren hinüber und fanden
ihn neben der Schwelle seiner Tür, auf einem Bündel
Schilf sitzend, das er sich seit lange, als seine Alters-bank, zurechtgelegt hatte. Es war ersichtlich, daß er,
die warme Herbstsonne suchend, an dieser Stelle
eingeschlafen war, um nicht wieder zu erwachen. Die
Verwandtschaft der Frau richtete ihm ein groß Be-
gräbnis her; der Schmöckwitzer Küster schrieb an
die beiden Söhne, die, mit sieben Enkeln und an-
derthalb Hand breitem Krepp um den Hut, von Berlin
und Rathenow herüberkamen, die ganze Köpenicker
Fischerzunft aber, die, schon zwei Stunden vor Be-
ginn der Feierlichkeit, bei der Insel angefahren war,
folgte jetzt in dreißig Booten nach Schmöckwitz hin-
über. Der Prediger, der den alten Mann sehr geliebt
und seiner Gemeinde als das Bild eines schlichten
und frommen Christen oft empfohlen hatte, sprach
über das Schriftwort: ›Ei, du frommer und getreuer
Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich
will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herren
Freude.‹ Und denselben Spruch hat auch der
Schmöckwitzer Tischler auf das Grabkreuz unseres
Freundes geschrieben.«
»Dies Grab müssen wir besuchen«, rief jetzt Kapitän
Backhusen mit Emphase; »das ist mein Mann; allein
sein,
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