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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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besten zu dem nahe
    gelegenen Reiherhorst führen würde, war mittlerwei-
    le zugunsten von Lieutenant Apitz entschieden wor-
    den. Also »querdurch«. Wir erkletterten zunächst das
    Uferbastion, in dessen Schutze wir lagen, hielten
    kurze Umschau und schlugen uns dann, immer die
    Höhe haltend, waldeinwärts. Nach längerem Suchen
    und Irren, das zu den üblichen Bemerkungen über
    »Richtwege« führte, hatten wir endlich die Reiherko-
    lonie, ihre Wohn- und Brutstätte vor uns und schrit-
    ten ihr zu.
    Dieser Reiherhorst, wie jeder andere, befindet sich in
    den Wipfeln alter Eichbäume, die, zu mehreren Hun-
    derten, auf der plattformartigen Kuppe einer aber-
    maligen Ansteigung des Waldes stehen. Eine Anzahl
    dieser Eichen, vielleicht die Hälfte, war noch intakt,
    die andere Hälfte aber zeigte jeden Grad des Ver-
    falls, und zwar um so mehr, je länger sie des zwei-

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    felhaften Vorzuges genossen, im Reiherdienste zu
    stehen, das heißt also, ein Reihernest in ihren Wip-
    feln zu tragen. Die Zahl dieser Nester wechselt. Man-
    che Bäume haben eins, andere drei und vier. Das
    letztere ist das gewöhnlichere. Aber ob eins oder
    mehrere, über kurz oder lang trifft sie dasselbe
    Schicksal: sie sterben ab, unter dem Einfluß der Rei-
    herwirtschaft, namentlich der Reiher-Kinderstube,
    deren Details sich jeder Mitteilungsmöglichkeit ent-
    ziehen.
    Erst Mitte Juli pflegen die Jungen flügge zu werden.
    In diesem Jahre jedoch mußten sie kräftiger oder
    gelehriger gewesen sein; jedenfalls fanden wir alles
    ausgeflogen und sahen uns in der angenehmen Lage,
    jede einzelne Wohnstätte aufs genaueste mustern zu
    können. Was die Wipfel der Bäume angeht, so bleibt
    dem Gesagten an dieser Stelle nichts hinzuzufügen;
    aber auch der Untergrund erzählt noch manche Ge-
    schichte. Hier und dort lag zu Füßen einer wie ge-
    schält aussehenden, ihrer Rinde halb entkleideten
    Eiche das Federwerk eines Jungvogels. Das erklärt
    sich so. Fällt ein junger Reiher vor dem Flüggewer-
    den aus dem Nest, so ist er verloren. Ein freies, selb-
    ständiges Leben zu führen, dazu ist er noch zu jung,
    ihn wieder in das Nest hinaufzuschaffen, dazu ist er
    zu schwer. So bleibt er liegen, wo er liegt, und stirbt den allerbittersten Tod unter den Unbilden seiner
    nächsten Verwandten, die, ohne ihre Lebens- und
    Anstandsformen im geringsten zu ändern, erbar-
    mungslos zu seinen Häupten sitzen.

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    Unter anderen Bäumen lagen herabgestürzte Nester.
    Sie gaben uns Veranlassung, ein solches zu untersu-
    chen. Es ist einem Storchennest ähnlich, aber noch
    gröber im Gefüge, und besteht aus angetriebenem
    Holz der verschiedensten Arten: Kiefern-, Elsen- und
    Weidenzweige. Dazu viel trockenes Stechapfelkraut,
    lange Stengel, mit aufgesprungenen Kapseln daran.
    Ob sie für dies Kraut um Geruches willen, vielleicht
    auch als Arzneidrogue, eine Vorliebe haben oder ob
    es ihnen lediglich als Bindemittel zu festerer Ver-
    schlingung der dicken Holzstäbe dient, muß dahinge-
    stellt bleiben. Überall aber, wo ein solches Nest lag,
    sproßte wuchernd aus hundert Samenkörnern ein
    ganzer Giftgarten von weißblühender Datura auf, der
    übrigens, jede Ausschließlichkeit vermeidend, auch
    anderem Blumenvolk den Zutritt gestattete. Nur
    »von Familie« mußten die Zugelassenen sein:
    Wolfsmilch, Bilsenkraut, Nachtschatten. Das Harmlo-
    seste, was sich eingeschlichen hatte, war Brennessel.
    Ein Erinnerungsblatt hier mitzunehmen verbot sich;
    so mußten die umherliegenden Federn aushelfen. Ein
    paar der schönsten an unsere Mützen steckend,
    kehrten wir, nunmehr des Weges kundig, in kürzes-
    ter Frist an Bord unseres Schiffes zurück.
    Hier hatte sich mittlerweile Mudy nach mehr als einer
    Seite hin legitimiert. Der Tisch war unter einer aus-
    gespannten Leinwand gedeckt; der weißeste Da-
    mast, das blinkendste Silber lachten uns entgegen.
    Selbst an Tafelaufsätzen gebrach es nicht. Neben
    dem großen Köpenicker Baumkuchen parodierten
    zwei prächtige, in hundert Blüten stehende Heide-

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    krautbüschel, die Mudy, samt dem Erdreich, ausge-
    schnitten und in zwei reliefgeschmückte Weinkühler
    eingesetzt hatte. Aber Größeres war uns vorbehal-
    ten, was sich erst offenbaren sollte, als die Reihe der vorschriftsmäßigen Gänge, unter denen sich besonders das Fischgericht »Schlei mit Dill« auszeichnete,
    beendet war. Ob aus Nachklang oder Inspiration, aus
    Erinnerung oder geoffenbarter Weisheit, gleichviel, in
    Mudys Seele

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