Wanderungen durch die Mark Brandenburg
»Soldatenkönig«, der all sein
Lebtag seiner Wusterhausener Herrschaft die noch
aus kronprinzlichen Tagen herstammende Liebe be-
wahrte, erst unter König Friedrich Wilhelm I. kamen
die Duberow-Reiherjagden, die damals Reiherbeizen
waren, zu Flor und Ansehen. Bei einem zeitgenössi-
schen Schriftsteller, der selber diese Jagden mit-
machte, finde ich folgende Schilderung: »Im Frühling
und im Herbst vergnüget sich der Hof, neben man-
chem anderen, auch mit der Reiherbeize , an der die Königin nicht selten teilnimmt. Der Schauplatz dieser
2379
Vergnügungen ist verschieden, zumal aber ist es
Wusterhausen und der Duberow-Wald oder ›die Du-
berow‹, wie die Leute, der Kürze halber, den Wald zu
nennen pflegen. Ich habe solchen Reiherbeizen öfter
beigewohnt. Ist dergleichen angesaget, so begibt
sich der König auf eine Höhe, die einen weiten Um-
blick gestattet. Seine Majestät reiten gemeiniglich
und werden auch von vielen anderen zu Pferde be-
gleitet. Indem werden zwei Wurstwagen angespannt,
und es sitzen auf jedem derselben sechzehn bis
zwanzig Personen. Auf der Waldhöhe ist ein Herd
errichtet, auf dem ein gewaltiges Feuer brennt. Die-
ser ganze Herd ist ringsherum umgraben, so daß
man sich dabei niedersetzen und, wer frieret, zur
Genüge wärmen kann. Auch ist der Platz, an dem
sich Herd und Feuer befinden, mit Maien umstecket.
Unten in der Ebene halten die Falkoniers mit ihren
Falken und sind an unterschiedene Posten verteilt.
Wenn sich nun ein Reiher reget und in der Luft da-
herspazieret kommt, so lässet man einen, zwei, auch
drei und vier Falken steigen. Sobald der Reiher des
Falken, oder ihrer mehr, gewahr wird, fänget er ent-
setzlich an zu schreien und schwingst sich so hoch,
als er nur immer kann. Aber der Falke machet den-
noch, daß er weit über dem Reiher in der Luft zu
stehen kommt. Alsdann schießet er wie ein Pfeil her-
ab, gibet dem Reiher den Stoß, bringet ihn auf die
Erde und hält denselben so lange, bis die Falkoniere
kommen und ihn aufnehmen. Die Falkoniere aber
bringen den Reiher dem Ober- oder Hofjägermeister,
und dieser präsentierst ihn dem Könige, von dem er
mit einem Ring gebeizet und sodann wieder in die
freie Luft gelassen wird. Manchmal geschiehet es,
2380
daß der Reiher von zwei, drei und vier Falken in der
Luft gestoßen und angefallen, dadurch aber die Lust
desto größer wird. Ist der Tag glücklich, so werden
fünf, sechs und noch mehr Reiher gefangen und ge-
beizet.«
So war es in den Tagen Friedrich Wilhelms I. An die
Stelle dieser »Reiherbeizen« ist jetzt ein ebenfalls
dem Mittelalter entstammendes Reiherschießen ge-
treten, das weniger eine Jagd als eine Zielübung ist
und im Bereiche moderner Erscheinungen am besten
mit dem Taubenschießen auf unseren Schützenfes-
ten verglichen werden kann. Nur mit dem nicht un-
wesentlichen Unterschiede, daß die Taube, wenigs-
tens heutzutage, von Holz, der Reiher aber lebendig
ist.
Diese Reiherjagden, die, statt mit dem Falken, mit
der Büchse in der Hand unternommen werden, fin-
den jetzt alljährlich in der zweiten Hälfte des Juli
statt. Dann ist die junge Brut groß genug, um einen
jagdbaren Vogel von wünschenswerter Schußfläche
abzugeben, und doch wiederum nicht groß, das heißt
nicht flügge genug, um sich, gleich den Alten, der
drohenden Gefahr durch Flucht entziehen zu können.
So stehen sie dann aufrecht in den hohen Nestern,
kreischen und schreien und werden herunterge-
schossen. Ein sonderbarer, dem Gefühle des Nichtjä-
gers widersprechender Sport, über den indes ande-
rerseits, wie über manches Ähnliche aus der Sphäre
des high-life, ohne Sentimentalitäten hinweggegan-
gen werden muß. Es sind dies eben Überbleibsel aus
vergangenen Jahrhunderten her, mit denen, weil sie
2381
einem ganzen System von Anschauungen angehö-
ren, nicht ohne weiteres aufgeräumt werden kann,
Dinge des Herkommens, zum Teil auch der prakti-
schen Bewährung, nicht des persönlichen Ge-
schmacks. Tradition und Repräsentation schreiben
immer noch, innerhalb des Hoflebens, die Gesetze.
Übrigens mag hier eingeschaltet sein, daß unser
Kronprinz, ein passionierter Reiherjäger, das beque-
me Schießen aus dem Neste verschmäht und es vor-
zieht, den um die Herbstzeit völlig flügge geworde-
nen Jungvogel aus der Luft herunterzuholen. Hier,
wie in manch anderem, eine Modelung des Überlie-
ferten.
Der Streit, welcher Weg uns am
Weitere Kostenlose Bücher