Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Dissonanz in dem vollen Brausen des
Orgelchors, der eben jetzt das große Vertrauenslied
in die Ratschlüsse Gottes anstimmt: » Ein feste Burg ist unser Gott «.
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1. In Schloß Köpenick befanden sich damals die
»Demagogen« in Untersuchungshaft. – Jetzt
ist es Seminar.
Die Müggelsberge
Es rührt kein Blatt sich, alles schläft und träumt,
Nur jezuweilen knistert's in den Föhren,
Die Nadel fällt – es ruht der Wald.
Scherenberg
Inmitten des quadratmeilengroßen Wald- und Insel-
dreiecks, das Spree und Dahme kurz vor ihrer Verei-
nigung bei Schloß Köpenick bilden, steigen die
»Müggelsberge« beinah unvermittelt aus dem Flach-
land auf. Sie liegen da wie der Rumpf eines fabelhaf-
ten Wassertieres, das hier in sumpfiger Tiefe zurück-
blieb, als sich die großen Fluten der Vorzeit verliefen.
Die Müggelsberge sind alter historischer Grund und
Boden und waren schon das »hohe Schloß« dieser
Lande, lange bevor die Wendenfürsten in die Spree-
gegenden kamen und lange bevor sich Brennibor an
der Havel erhob. In vor slawischer Zeit, in Zeiten, die noch keine Burgen kannten, waren sie die naturge-baute, wasserumgürtete Veste, die von germani-
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schen Häuptlingen jener Epoche bewohnt wurde –
der Sumpf ihr Schutz, der Wald ihr Haus.
Karl Blechen, »der Vater unsrer märkischen Land-
schaftsmalerei«, wie er gelegentlich genannt worden
ist, hat in einem seiner bedeutendsten Bilder die
Müggelsberge zu malen versucht. Und sein Versuch
ist glänzend geglückt. In feinem Sinn für das Charak-
teristische ging er über das bloß Landschaftliche hinaus und schuf hier, in die Tradition und Sage der
Müggelsberge zurückgreifend, eine historische Landschaft. Die höchste Kuppe zeigt ein Semnonenlager.
Schilde und Speere sind zusammengestellt, ein Feuer
flackert auf, und unter den hohen Fichtenstämmen,
angeglüht von dem Dunkelrot der Flamme, lagern
die germanischen Urbewohner des Landes mit einem
wunderbar gelungenen Mischausdruck von Wildheit
und Behagen. Wer die Müggelsberge gesehen hat,
wird hierin ein richtiges und geniales Empfinden uns-
res Malers bewundern – er gab dieser Landschaft die Staffage, die ihr einzig gebührt. Ein Reifrock und ein
Abbé in die verschnittenen Gänge eines Rokoko-
schlosses, eine Prozession in das Portal einer goti-
schen Kirche, aber ein Semnonenlager in das Wald-
revier der Müggelsberge!
Ihnen gilt jetzt unser Besuch.
Wir kommen von Schloß Köpenick, haben Stadt und
Vorstadt glücklich passiert und schreiten nunmehr
dem Gehölze zu, das bis über die Müggelsberge hin-
aus das ganze Terrain bedeckt. Es ist ein Forst und
eine Heide wie andere mehr; Moos und Fichtenna-
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deln haben dem Weg eine elastische Weiche gege-
ben, und nur die Baumwurzeln, die grotesk überall
hervorlugen und uns wie böswillige Gnomen ein Bein
zu stellen suchen, mahnen zur Vorsicht. Eine rechte
Herbstesfrische weht durch den Wald. Der herbe
Duft des Eichenlaubs mischt sich mit dem Harzge-
ruch der Tannen, und anheimelnd klingt es, wenn die
Eichkätzchen von einem Baum zum andern springen
und die Zweige mit leisem Knick zerbrechen. Dann
und wann hören wir, vom Fahrweg her, den eigen-
tümlichen Klinker- und Klankerton, an dem ein mär-
kischer Bauernwagen auf hundert Schritt schon er-
kennbar ist. Die Halskette der beiden magern Brau-
nen rasselt am Deichselhaken, die Sprossen klappern
in den Leiterbäumen, die Leiterbäume wieder an den
vier Wagenrungen, und gegen die Wagenrungen
schrammt das Rad. Dazwischen das »Hüh!« und
»Hoh!« des Kutschers und Schwamm-Anpinken und
Tabaksqualm – und das Begegnungsbild ist fertig,
das die märkische Heide zu bieten pflegt.
Schon mehrere solcher Fuhrwerke sind an uns vor-
übergekommen, und ihre Insassen haben jedesmal
unsern Gruß erwidert in trägen, unverständlichen
Lauten, wie einer, der aus dem Schlafe spricht. Jetzt
aber verlassen wir den Fußweg, der neben der gro-
ßen Fahrstraße hinlief, und biegen nach rechts hin in
einen schmaleren Pfad ein, der, leise bergan stei-
gend, uns immer tiefer in die weiten und unmittelbar
an den Fuß der Müggelsberge sich anlehnenden
Waldreviere führt. Bald ist völlige Stille um uns her;
wir haben in unseren Gedanken von Menschen und
Menschenantlitz Abschied genommen und fahren
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drum erschreckt zusammen, als wir plötzlich dreier
Frauengestalten ansichtig werden, die mit halbem
Auge von ihrer Arbeit
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