Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Gefieder fing die
letzten Strahlen der Abendsonne auf; dann stieg er
in das unter ihm liegende Dunkel der Tannen nieder.
Das Nebelbild war hin, die Aussicht wieder frei, die
Scheite wieder verkohlt; von den Dörfern her aber
klang die Betglocke, die den Abend einläutete.
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Der Müggelsee
Glatt ist der See, stumm liegt die Flut,
So still, als ob sie schliefe,
Der Abend ruht wie dunkles Blut
Rings auf der finstern Tiefe;
Die Binsen im Kreise nur leise
Flüstern verstohlenerweise.
Schnezler
Die Spree, sobald sie sich angesichts der Müggels-
berge befindet, bildet oder durchfließt ein weites
Wasserbecken: die Müggel oder den Müggelsee, der
mit zu den größten und schönsten unter den märki-
schen Seen zählt.
Da, wo die Spree den Müggelsee betritt, und ebenso
da, wo sie ihn wieder verläßt – also durch die ganze
Länge des Sees voneinander getrennt –, erheben
sich die beiden einzigen Dörfer dieser Gegenden:
Rahnsdorf und Friedrichshagen, jenes ein altes Dorf,
das mutmaßlich bis in die Wendenzeit zurückreicht,
dies eine Kolonie aus der Zeit des großen Königs, der
es sich zur Aufgabe stellte, die bis dahin unbewohn-
ten Müggelforsten oder, was dasselbe sagen will, die
große Waldinsel zwischen der Deutschen und Wendi-
schen Spree zu kolonisieren.
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Rahnsdorf und Friedrichshagen blicken mit ihren
schmucken roten Dächern auf den See hinaus, aber
es sind nicht eigentliche Seedörfer; sie liegen am
Ufer der Spree, nicht am Ufer der Müggel. Am Müg-
gelsee selber, den nichts wie Sandstreifen und an-
steigende Fichtenwaldungen einfassen, erhebt sich
oder erhob sich wenigstens in den sechziger Jahren,
als ich den See zum ersten Male sah, ein einziges
Haus: die Müggelbude . Auf einer vorspringenden
Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus in die
Müggel hinein erstreckt, ist sie oder war sie der ge-
eignetste Punkt, um den See und seine Ufer zu ü-
berblicken.
Ebendiese Müggelbude, nach der von Köpenick aus
ein reizender Spaziergang durch den Wald führt1), ist
Leuchtturm, Fischerwohnung und Fährhaus zugleich,
aber vor allem ist sie doch Gasthaus . Sie ist es nach jenem überall hervortretenden Gesetze, welches in
unwirtbaren Gegenden ein jedes einzeln stehende
Haus zum Gasthause macht. Die oft angerufene und
oft gewährte Hülfe führt schließlich dazu, die Hülfe
zu einem Geschäft zu machen. So auch die Müggel-
bude. Freilich ist es ein wild-verwogenes Geschlecht,
das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu
finden, und der Fährmann, der erfahren haben mag,
daß uns das Unglück nicht bloß zu seltsamen Schlaf-
kameraden führt, sondern uns auch umgekehrt e-
benso seltsame Schlafkameraden bringt , hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um sein eigentli-
ches Haus vor ihnen sicherzustellen. Seine Müggel-
bude repräsentiert ein »Gasthaus erster Klasse«; für
die Unbekannten und Schlechtlegitimierten aber hat
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er abwärts auf dem untersten schmalen Uferstreifen
eine Art Schifferghetto aufgeführt. Hier, auf einem
Terrain, das sich See und Sand beständig streitig
machen, erheben sich flachgewölbte Holzhütten, die
sich bei näherer Besichtigung als ausrangierte
Schiffskajüten erweisen. Durch die halb offenstehen-
de Tür gewinnt man Einblick in das Innere dersel-
ben: auf vier hohen Pfosten ruht ein roh zusammen-
genagelter Kasten, groß genug für zwei oder drei
Schläfer und mit nichts ausgestattet als mit etwas
niedergelegenem Stroh. Das ist alles, was die Gast-
lichkeit der »Dépendance« der Müggelbude bietet.
Und doch muß es hier ein wunderbares Schlafen
sein, wenn in Winternächten die glitzernden Sterne
durch die halbhandbreiten Ritzen in dies Schlafge-
mach hineinblicken und der See, als woll er sich
warm schlagen, seine Wellen bis an die hochaufge-
zimmerte Bettlade treibt. Schade nur, die Schiffer-
knechte, die hier einen Unterschlupf suchen und fin-
den, sind wohl die letzten, sich dieses Zaubers zu
freun.
Die Müggelbude steht hoch, ihr zu Füßen aber zieht
sich ein Sandgürtel, der, nach vorn hin aufs neue
steil abfallend, den See in seiner ganzen Ausdehnung
umzirkt. Auf diesem Sandgürtel nehmen wir Platz,
und eine knorrige Kiefer im Rücken, deren vorge-
beugter Schirm schon halb über dem Wasser
schwebt, sitzen wir jetzt auf einer Art Moos- oder
Erdbank und blicken auf die weite Wasserfläche hin-
aus, die, leise brandend, ihre Wellchen bis unter uns-
re Füße
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