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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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lassen. Es konnt es nicht, weder nach Lage des Gesetzes noch der
    Situation. Am 29. früh, am Tage nach der Kapitulati-
    on von Metz, wurde das auf »Tod durch Erschie-
    ßung« lautende Urteil vollstreckt. Das gleiche Los
    traf seinen Wirt, Mr. Bauer. Alles, was noch zu er-
    zählen bleibt, ergibt sich am besten aus einzelnen
    Schriftstücken, die vorliegen: zwei Briefe Anderssens
    an seinen Vater und ein amtliches Schreiben des
    Obersten Turnier an den Kommandanten des
    4. Ulanenregiments. Ich gebe diese Schriftstücke:

    »Lieber Papa! Ich schreibe Dir und wünsche, daß Du
    zuerst diesen Brief liest, um Mama vorbereiten zu
    können. Das Kriegsgericht hat gesprochen. Ich bin
    zum Tode verurteilt. Ich kann mir Deinen Kummer
    denken; ich fühle es recht, mein lieber Papa. Du bist
    stets so gut zu mir gewesen! Ich hab es Dir nie ge-
    nügend gedankt. Es ging mir zu gut. Jetzt, wo ich in
    meiner Zelle sitze und diesen Brief auf den Knien

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    schreibe, fühl ich erst, was ich an Euch verliere.
    Jetzt, wo es zu spät ist, erkenn ich, was Ihr mir ge-
    wesen seid. Es rührt mich, wenn ich daran denke,
    mit welcher Freude Du mir den geringsten Wunsch
    erfüllt hast und wie Mama für mich gesorgt. Wer hät-
    te das gedacht, lieber Papa, als wir uns zuletzt auf
    dem Bahnhof in Berlin sahen, daß wir uns nie wie-
    dersehen würden. Das ist eine schreckliche Strafe für
    mich!... Ich bin hier allein, ohne einen Menschen, der
    ein Herz für mich hat; welche Sehnsucht hab ich,
    Euch zu sehen. Ich hab an den Prokurator der Repu-
    blik geschrieben, daß mir das Medaillon und zwei
    Briefe von Euch, die ich bei mir hatte, im Gefängnis
    gelassen würden. Man hat sie mir geschickt.... Die
    Stadt ist zerniert.... Es ist mir rätselhaft, wie ich auf diese Tollkühnheit gekommen bin.
    Der Kommissar der Republik, ein Offizier der Garde
    mobile, besucht mich alle Tage und hat mir verspro-
    chen, Briefe, die ich verschlossen abschicken will
    (das heißt, ohne daß sie jemand vorher liest), für
    mich zu besorgen. Auch wird er die Sachen, die ich
    mitgebracht habe, Euch zukommen lassen. Es sind
    dies: Uhr, Kette mit Petschaft, Medaillon und Kom-
    paß, eine Brieftasche, Notizbuch, Zigarrentasche und
    mein Taschenmesser, der vielgenannte ›Rippespeer‹.
    Wenn es nicht früher geht, werdet Ihr sie nach dem
    Kriege bekommen. Da das Geld, was ich mitgebracht
    habe, nicht reichen wird, so werd ich eine Bescheini-
    gung zurücklassen für das, was man für mich ausge-
    legt hat. Sei so gut und gib meinen kleinen Revolver
    an Dr. Stich. Er soll ihn als Andenken behalten, den
    ›Rippespeer‹ auch. Meine andern Sachen werden

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    Euch wohl vom Regimente zugeschickt oder später
    gegeben werden. Meinen letzten Brief hab ich am 15.
    geschrieben und Dich gebeten, mir eine neue Uni-
    form zu schicken. Als ich den Brief schrieb, hab ich
    nicht gedacht, daß ich drei Stunden später in Thion-
    ville sein würde. Es ist merkwürdig, wie dieses Ge-
    schick so plötzlich über mich hereingebrochen ist.
    Wenn ich wenigstens vorher mir Zeit genommen
    hätte, nachzudenken und mich auf die Folgen gefaßt
    zu machen. Ich könnte wenigstens sagen, es sei
    meine Schuld. Es wär aber dann gar nicht passiert.
    Ich wundre mich selbst, daß ich keinen Menschen um
    Rat gefragt habe; man hätte mir doch entschieden
    abgeraten. Es ist aber auch möglich, daß ich es
    trotzdem getan hätte; dann würd ich mir noch mehr
    Vorwürfe machen. Ich kann mir nicht klarwerden
    darüber. Das Ganze ist nicht weniger sonderbar, als
    wenn ich jetzt plötzlich bei Euch sein würde. Was
    man nur bei meinem Regimente davon denkt! Auf
    alle Fälle wär ich noch vor das preußische Kriegsge-
    richt gekommen. Es wär aber doch besser gewesen,
    ich hätte Euch wenigstens wiedergesehen.
    Ich bin verurteilt worden nach dem Artikel 207, der
    wörtlich lautet: ›Est puni de mort tout ennemi, qui
    s'introduit déguisé dans une place de guerre‹ etc.
    Man hat keine mildernde Umstände anerkannt.
    Ich nehme jetzt Abschied von Euch, meine lieben
    Eltern. Es ist mir recht traurig zumute. Ich weiß, daß
    Ihr mir verzeihen werdet. Es wäre so schön, wenn
    wir uns wiedersähen! Wenn ich aus dieser Lage ge-
    rettet worden wäre, ich hätte mich bemüht mich

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    stets dankbar gegen Euch zu bezeugen. Es wird mir
    so schwer ums Herz, daß ich so weit von Euch auf so
    traurige Weise aus dem Leben scheiden muß. Dieser
    Brief ist wahrscheinlich der letzte, den Ihr von mir
    empfangt. Grüße

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