Wanderungen durch die Mark Brandenburg
aufzuhalten.
Empfangen Sie, mein Herr Oberst, die Versicherung
meiner auszeichnendsten Gefühle.
Thionville, am 29.
Oktober 70
Turnier,
Oberst und Erster Kommandant.«
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Ende Februar – der Präliminarfriede war inzwischen
geschlossen – wurde die Leiche ausgegraben, um
nach Berlin übergeführt zu werden. Thionville hatte
um diese Zeit bereits eine preußische Besatzung,
vom 30. Regiment, wenn ich nicht irre. Die Erinne-
rung an den so jung und so brav Gestorbenen war
noch in aller Herzen lebendig, und als der Kondukt
durch die Straßen der Stadt ging, dem Eisenbahnho-
fe zu, schloß sich die ganze männliche Bevölkerung
dem Militärkommando an, alle Frauen und Mädchen
aber standen an den offenen Fenstern und folgten
teilnahmsvoll dem langen Zuge. Tugend und Tapfer-
keit erobern jedes Herz, auch das des Feindes.
Am 10. März traf der Sarg hier ein und wurd in der
Leichenhalle des Jerusalemer Kirchhofes niederge-
setzt. Am 13. erfolgte die Bestattung. Das 2. Garde-
Ulanen-Regiment gab das Ehren- und Geleitskom-
mando, und über den niedergesenkten Sarg hin feu-
erten die Karabiner. Dann schloß sich das Grab. Jetzt
steht es dicht in Efeu und Blumen, Zypressen rings-
umher, und auf dem schräg liegenden, halb über-
wachsenen Marmorkreuze lesen wir: »Hier ruhet in
Gott unser geliebter einziger Sohn, der Portepee-
Fähnrich Alexander Anderssen, geboren den
19. November 1847, vom Feinde erschossen in Thi-
onville den 29. Oktober 1870.«
Ruh aus, tapfres Herz.
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Friedrichsfelde I
Und nahe hör ich, wie ein rauschend Wehr,
Die Stadt, die völkerwimmelnde, ertosen.
»Braut von Messina«
Gegrüßet seid mir, edle Herrn,
Gegrüßt ihr, schöne Damen!
Goethe
Wen ein Sommernachmittag ausnahmsweise vor die
Tore der östlichen Stadtteile, beispielsweise nach Friedrichsfelde, führt, dem werden sich daselbst in
Landschaft und Genre die gefälligsten und in ihrer
heitern Anmut vielleicht auch unerwartetsten Bilder
erschließen. Friedrichsfelde darf als das Charlotten-
burg des Ostends gelten, und allsonntäglich wandern
Hunderte von Residenzlern hinaus, um sich »Unter
den Eichen« daselbst zu divertieren. Es sind meist
Vorstadt-Berliner, jener Schicht entsprossen, wo die
Steifheit aufhört und der Zynismus noch nicht an-
fängt, ein leichtlebiges Völkchen, das alles gelten
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läßt, nur nicht die Spielverderberei, ein wenig eitel,
ein wenig kokett, aber immer munter und harmlos.
Wie das lacht und glücklich ist im Schweiße seines
Angesichts! Jetzt »Bäumchen, Bäumchen, verwech-
selt euch«, jetzt Anschlag, jetzt Zeck, jetzt Ringel-
reihn und Gänsedieb, bis endlich unter den weit-
schattigen Parkbäumen sich alles lagert und auf um-
gestülpten Körben und Kobern die Mahlzeit nimmt.
Die Fahrt nach Friedrichsfelde, wenn man zu den
»Westendern« zählt, erfordert freilich einen
Entschluß. Es ist eine Reise, und durch die ganze
Steinmasse des alten und neuen Berlins hin sich mu-
tig durchzuschlagen, um dann schließlich in einem
fuchsroten Omnibus mit Hauderer-Traditionen die
Fahrt zu Ende zu führen, ist nicht jedermanns Sache.
Wer es aber an einem grauen Tage wagen will, wo
die Sonne nicht sticht und der Staub nicht wirbelt,
der wird seine Mühe reichlich belohnt finden. Er wird
auch überrascht sein durch das reiche Stück Ge-
schichte, das ihm an diesem Ort entgegentritt.
Wir erzählen davon.
Friedrichsfelde bis 1700
Friedrichsfelde war bis zum Jahre 1700 gar kein
Friedrichsfelde, sondern führte statt dessen den poe-
tischen, an Idyll und Schäferspiele mahnenden Na-
men Rosenfelde. Und doch griff dieser Name bis auf
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Zeiten zurück (erstes Vorkommen 1288), wo hier-
landes an alles andere eher gedacht wurde als an
Schäferspiele. Kaum Schäfer mocht es damals ge-
ben.
1319, im letzten Regierungsjahre des Markgrafen
Waldemar, wurden die Ratmannen von Berlin und
Cölln die Herren des schon damals ansehnlichen Be-
sitzes, und beinahe drei Jahrhunderte lang trug es
die alte Patrizierfamilie der Rykes von den Ratman-
nen zu Lehn. 1590, so scheint es, wurde das Gut
dann landesherrlich, wenigstens zu größrem Teile,
bis es unter dem Großen Kurfürsten in den Besitz
Joachim Ernst von Grumbkows1) und 1695 in den
Benjamin Raules kam.
Benjamin Raule – ein Holländer von Geburt, Gene-
raldirektor des Seewesens, dessen Name in »Raules
Hof«, wo sich die Admiralität damals befand, bis auf
den heutigen Tag
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