Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Oktober fuhr
Mr. Bauer (Name des Maires) mit einem leichten A-
ckerwagen aus seinem Gehöft auf die Dorfstraße,
und unsres Fähnrichs ansichtig werdend, der, ritt-
lings auf einem Reisigbündel sitzend, eben Spielzeug
für die Kinder schnitzte, rief er demselben zu:
»Wollen Sie mit?«
»Wohin?«
»Thionville.«
»Gewiß!«
Ehe zwei Minuten um waren, hatte der Angerufene,
mit der ihm eigenen Raschheit des Entschlusses, die
Kleider gewechselt und fuhr nun in blauer Blouse,
neben seinem Quartiergeber sitzend, plaudernd und
rauchend auf Thionville zu. Ohne Aufenthalt oder
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Schwierigkeit ging es über die Festungsbrücke fort in
das Tor hinein, bis der Wagen inmitten der Stadt vor
dem vielbesuchten Café Luxembourg hielt. Das Pub-
likum desselben, so wenigstens haben später einge-
zogene Erkundigungen ergeben, scheint unsern An-
derssen gleich von Anfang an in seiner Verkleidung
erkannt, an dieser Entdeckung aber nicht den min-
desten Anstoß genommen zu haben. Im Gegenteil.
Mit Vorliebe wandte man sich ihm zu, eine Mittei-
lung, die alle diejenigen am wenigsten überraschen
wird, die persönlich in der einen oder andern Eigen-
schaft auf dem Kriegsschauplatz anwesend waren.
Denn gerade diese werden aus eigener Anschauung wissen, daß Heitres und friedlich Freundliches be-ständig in den furchtbaren Ernst des Krieges hinein-
wuchs und nur allzuoft in geradezu verführerischer
Weise den einen oder andern Teil vergessen lassen
konnte: dort steht dein Feind. Die Vorposten bei-
spielsweise lebten sich kameradschaftlich miteinan-
der ein, tranken sich zu, erwiesen sich kleine Diens-
te, bis dann plötzlich wieder – oft launenhaft und
nach dem Voraufgegangenen durchaus unmotiviert –
eine Gewehrsalve dazwischenfuhr und die Situation
aufs neue klarlegte. So ähnlich scheinen die Dinge
an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen zu
sein. Der Nachteil, der der Stadt aus einem mit
scharfem Appetit frühstückenden und mit der dame
du comptoir lebhaft plaudernden Prussien erwachsen
konnte, war gering, der Vorteil aber lag auf der
Hand, denn man hörte doch dies und das und sah
das ewige Einerlei der Tage durch einen Zwischenfall
unterbrochen, der in seinem keck-abenteuerlichen
Aufstutz nur um so unterhaltender wirkte. Die Nach-
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richten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuver-
lässig sein, aber soviel wenigstens wird mit Be-
stimmtheit erzählt, daß die Café-Luxembourg-Gäste,
unter scherzhaftem Hinweis auf seine Blouse, uns-
rem Fähnrich zugerufen hätten: »Passen Sie auf.« Er
nahm es aber leicht und mocht es leichtnehmen,
denn in der Tat, das Glück schien gewillt, für seinen
Liebling noch einmal all und jedes zu tun. Nichts Stö-
rendes intervenierte, der Wagen fuhr wieder vor,
Wirt und Einquartierung nahmen auf dem Vordersitz
ihren alten Platz, und nach dem Café zurückgrüßend,
fuhren beide die Straße hinunter auf das Metzer Tor
zu, um noch vor Dunkelwerden Garsch zu erreichen.
Alles ging gut; erst im letzten Moment gebar sich das
Unheil. Hart am Tor, da, wo nach rechts hin die
Straße in eine schmale, halb von der Stadtmauer
gebildete Gasse abbiegt, stand ein Wirtshaus, aus
dem der Lärm heiterer Gäste herüberklang. Einige
standen an den offenen Fenstern und größten mit
den Deckelkrügen. »Noch einen Abschiedstrunk«,
rief Anderssen und legte die Hand auf die Leine. Der
Maire war gutmütig genug, nachzugeben, man hielt,
und im nächsten Moment waren beide mit unter den
Gästen. Was hier nun geschah, ist unaufgeklärt
geblieben; zehn Minuten später aber sah sich An-
derssen als preußischer Spion und Mr. Bauer als sein
Complice verhaftet. Die Bierhausbevölkerung war
eben eine andere als die im Café Luxembourg. Im
allgemeinen wird man sagen können: Alles wohletab-
liert Imperialistische trug uns im stillen Sympathien
entgegen. Alles Gambettistisch-Republikanische
stand gegen uns.
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Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt
anwuchsen, wurden die beiden Gefangenen nach
dem Arresthause gebracht.
Am 24. trat ein Kriegsgericht zusammen, das über
den Fall aburteilen sollte. Trotzdem diesseitig ein die
»exzentrische Natur« des Angeklagten ebenso wahr-
heitsgemäß wie geflissentlich hervorhebendes
Schreiben an den Kommandanten von Thionville,
Oberst Turnier, gerichtet worden war, sah sich das
Kriegsgericht dennoch nicht veranlaßt, eine mildere
Beurteilung des Falles eintreten zu
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