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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Oktober fuhr
    Mr. Bauer (Name des Maires) mit einem leichten A-
    ckerwagen aus seinem Gehöft auf die Dorfstraße,
    und unsres Fähnrichs ansichtig werdend, der, ritt-
    lings auf einem Reisigbündel sitzend, eben Spielzeug
    für die Kinder schnitzte, rief er demselben zu:
    »Wollen Sie mit?«
    »Wohin?«
    »Thionville.«
    »Gewiß!«
    Ehe zwei Minuten um waren, hatte der Angerufene,
    mit der ihm eigenen Raschheit des Entschlusses, die
    Kleider gewechselt und fuhr nun in blauer Blouse,
    neben seinem Quartiergeber sitzend, plaudernd und
    rauchend auf Thionville zu. Ohne Aufenthalt oder

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    Schwierigkeit ging es über die Festungsbrücke fort in
    das Tor hinein, bis der Wagen inmitten der Stadt vor
    dem vielbesuchten Café Luxembourg hielt. Das Pub-
    likum desselben, so wenigstens haben später einge-
    zogene Erkundigungen ergeben, scheint unsern An-
    derssen gleich von Anfang an in seiner Verkleidung
    erkannt, an dieser Entdeckung aber nicht den min-
    desten Anstoß genommen zu haben. Im Gegenteil.
    Mit Vorliebe wandte man sich ihm zu, eine Mittei-
    lung, die alle diejenigen am wenigsten überraschen
    wird, die persönlich in der einen oder andern Eigen-
    schaft auf dem Kriegsschauplatz anwesend waren.
    Denn gerade diese werden aus eigener Anschauung wissen, daß Heitres und friedlich Freundliches be-ständig in den furchtbaren Ernst des Krieges hinein-
    wuchs und nur allzuoft in geradezu verführerischer
    Weise den einen oder andern Teil vergessen lassen
    konnte: dort steht dein Feind. Die Vorposten bei-
    spielsweise lebten sich kameradschaftlich miteinan-
    der ein, tranken sich zu, erwiesen sich kleine Diens-
    te, bis dann plötzlich wieder – oft launenhaft und
    nach dem Voraufgegangenen durchaus unmotiviert –
    eine Gewehrsalve dazwischenfuhr und die Situation
    aufs neue klarlegte. So ähnlich scheinen die Dinge
    an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen zu
    sein. Der Nachteil, der der Stadt aus einem mit
    scharfem Appetit frühstückenden und mit der dame
    du comptoir lebhaft plaudernden Prussien erwachsen
    konnte, war gering, der Vorteil aber lag auf der
    Hand, denn man hörte doch dies und das und sah
    das ewige Einerlei der Tage durch einen Zwischenfall
    unterbrochen, der in seinem keck-abenteuerlichen
    Aufstutz nur um so unterhaltender wirkte. Die Nach-

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    richten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuver-
    lässig sein, aber soviel wenigstens wird mit Be-
    stimmtheit erzählt, daß die Café-Luxembourg-Gäste,
    unter scherzhaftem Hinweis auf seine Blouse, uns-
    rem Fähnrich zugerufen hätten: »Passen Sie auf.« Er
    nahm es aber leicht und mocht es leichtnehmen,
    denn in der Tat, das Glück schien gewillt, für seinen
    Liebling noch einmal all und jedes zu tun. Nichts Stö-
    rendes intervenierte, der Wagen fuhr wieder vor,
    Wirt und Einquartierung nahmen auf dem Vordersitz
    ihren alten Platz, und nach dem Café zurückgrüßend,
    fuhren beide die Straße hinunter auf das Metzer Tor
    zu, um noch vor Dunkelwerden Garsch zu erreichen.
    Alles ging gut; erst im letzten Moment gebar sich das
    Unheil. Hart am Tor, da, wo nach rechts hin die
    Straße in eine schmale, halb von der Stadtmauer
    gebildete Gasse abbiegt, stand ein Wirtshaus, aus
    dem der Lärm heiterer Gäste herüberklang. Einige
    standen an den offenen Fenstern und größten mit
    den Deckelkrügen. »Noch einen Abschiedstrunk«,
    rief Anderssen und legte die Hand auf die Leine. Der
    Maire war gutmütig genug, nachzugeben, man hielt,
    und im nächsten Moment waren beide mit unter den
    Gästen. Was hier nun geschah, ist unaufgeklärt
    geblieben; zehn Minuten später aber sah sich An-
    derssen als preußischer Spion und Mr. Bauer als sein
    Complice verhaftet. Die Bierhausbevölkerung war
    eben eine andere als die im Café Luxembourg. Im
    allgemeinen wird man sagen können: Alles wohletab-
    liert Imperialistische trug uns im stillen Sympathien
    entgegen. Alles Gambettistisch-Republikanische
    stand gegen uns.

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    Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt
    anwuchsen, wurden die beiden Gefangenen nach
    dem Arresthause gebracht.
    Am 24. trat ein Kriegsgericht zusammen, das über
    den Fall aburteilen sollte. Trotzdem diesseitig ein die
    »exzentrische Natur« des Angeklagten ebenso wahr-
    heitsgemäß wie geflissentlich hervorhebendes
    Schreiben an den Kommandanten von Thionville,
    Oberst Turnier, gerichtet worden war, sah sich das
    Kriegsgericht dennoch nicht veranlaßt, eine mildere
    Beurteilung des Falles eintreten zu

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