Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Fuße des Hügels zieht sich ein
Feldweg hin, und dahinter breiten sich Gärten und
Wiesen; hinter den Wiesen aber steigt die Stadt auf
und hinter dieser der See mit seinen Inseln und sei-
nen Hügeln am andern Ufer. Und auch Leben hat das
Bild. Wie losgelöste Schollen treiben die Inseln den
See entlang (oder scheinen doch zu treiben), ein
satter Fischreiher fliegt landeinwärts, und die Tücher
der Mägde, die beim Heuen beschäftigt sind, flattern
lustig im Winde. Vom nächsten Dorf her kommen
Kinder des Wegs und verkürzen sich die Zeit mit
Spiel und Neckereien. In Büscheln reißen die Jungen
den roten Mohn aus dem Kornfeld, und immer, wenn
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sie die Mädchen zu haschen und mit den Büscheln zu
treffen suchen, stäuben die roten Blätter nach allen
Seiten hin durch die Luft.
So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaum-
hecke, ducken uns vor dem Wind, wenn er zu scharf
bergan fährt, und lugen wieder aus, wenn er pausiert
und zu neuem Angriff sich rüstet.
In diesem Augenblick aber trägt er die Klänge der
Mittagsglocke laut und vernehmbar herüber und
mahnt uns zur Rückkehr in die Stadt. Im »Goldenen
Stern« erwartet uns ein gedeckter Tisch; ich eile
damit und spring ins Boot, um noch einmal über den
See zu fahren. Und diesmal allein. Die kurzen Wellen
tanzen um mich her, das Wasser zeigt eine leichte
Trübe, der Himmel ist grau. Ein Gefühl beschleicht
mich wieder, stärker noch als zuvor, als ruhe hier
etwas, das sprechen wolle – ein Geheimnis, eine Ge-
schichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die
Wellen klatschen an den Kiel, und der Wind biegt das
Rohr knisternd nieder. Sonst alles stumm. Die Wol-
ken sinken immer tiefer; nun öffnen sie sich, und
hinter der grauen Wand, die der niederfallende Re-
gen nach allen Seiten hin aufrichtet, verschwindet
die Landschaft, Stadt und Schloß.
So sah ich den Teupitz-See zuletzt und ich habe
Sehnsucht, ihn wiederzusehn. Ist es seine Schönheit
allein, oder zieht mich der Zauber, den das Schwei-
gen hat? Jenes Schweigen, das etwas verschweigt.
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2. Mittenwalde
»Befiehl du deine Wege
Und was das Herze kränkt
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt...«
Und kaum das Lied vernommen,
Ist über sie gekommen
Der Friede Gottes aus der Höh.
Schmidt von Lübeck
Teupitz war der äußerste Punkt unserer Pfingstfahrt;
auf dem Rückwege lassen wir es uns angelegen sein,
an Mittenwalde nicht ohne Ansprache vorüberzu-
gehn.
Im allgemeinen darf man fragen: Wer reist nach Mit-
tenwalde? Niemand. Und doch ist es ein sehenswer-
ter Ort, der Anspruch hat auf einen Besuch in seinen
Mauern. Nicht als ob es eine schöne Stadt wäre,
nein; aber schön oder nicht, es ist sehenswert, weil
es alt genug ist um eine Geschichte zu haben.
Es hat sogar eine Vorgeschichte: Sagen und Traditi-
onen von einem Alt -Mittenwalde, das, in unmittelbarer Nähe der jetzigen Stadt, auf der westlichen 2646
Feldmark derselben gelegen war. Und in der Tat,
unter Wiesen- und Ackerland finden sich an dieser
Stelle noch allerlei Steinfundamente vor, und wäh-
rend das Auge des Fremden über Felder und Schläge
zu blicken glaubt, sprechen die Mittenwalder vom
»Vogelsang«, vom »Pennigsberg«, vom »Burgwall«
etc., als ob all diese Dinge noch sichtbarlich vor ih-
nen stünden.
Daß hier früher, und zwar in einem enggezogenen
Halbkreis um die jetzige Stadt her, ein anderes Mittenwalde stand, scheint unzweifelhaft. Es finden sich
beispielsweis allerlei Münzen am »Pennigsberg«, und
als Ende der fünfziger Jahre Kanalbauten und Erdar-
beiten am »Burgwall« zur Ausführung kamen, stieß
man auf Eichenbohlen, die wohl drei Fuß hoch mit
Feldsteinen überschüttet waren. Ersichtlich ein
Damm, der früher – mitten durch den Sumpf hin-
durch – erst nach dem Burg wall und von diesem aus nach der inmitten desselben gelegenen Burg führte.
So die Traditionen, und so das Tatsächliche, das jene
Traditionen unterstützt. Aber so gewiß dadurch der
Beweis geführt ist, daß auf der westlichen Feldmark
ein anderer, längst untergegangener Ort existierte,
sowenig ist dadurch bewiesen, welcher Art der Ort war und in welchem Verhältnis er zu der Burg und
dem Pennigsberge stand. Wie verhielt es sich damit?
War die Burg ein Schutz der Stadt oder umgekehrt ein Trutz derselben? Waren Stadt und Burg wendisch, oder waren sie deutsch? Befehdeten sie einen
gemeinschaftlichen Feind, oder befehdeten sie
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