Wanderungen durch die Mark Brandenburg
dich lassen«, die
vom Turm herab allabendlich erklang, dieselbe alte
Weise, von der Sebastian Bach später zu sagen
pflegte: »er gäb all seine Werke darum hin«, und der
fromme P. Gerhardt, der wohl wissen mochte, wie
seine Gemeinde daran hing, trachtete jetzt danach,
der schönen alten Melodie tiefere Textesworte
zugrunde zu legen. So entstand das »Abendlied«:
Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
Es schläft die ganze Welt –
jenes Musterstück einfachen Ausdrucks und lyrischer
Stimmung, das durch einzelne daran anknüpfende
Spöttereien (zum Beispiel, die ganze Welt könne nie schlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn wir
zur Ruhe gingen) an Volkstümlichkeit nur noch ge-
wonnen hat.
Glaub und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die
Kümmernisse des Lebens ihn niederdrücken wollten,
aber ein Gefühl der Einsamkeit blieb ihm, und sein
Herz sehnte sich nach Genossenschaft, nach einem
Herd. Im vierten Jahre seines Amts bewarb er sich
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um die Hand Maria Bertholds, der ältesten Tochter
jenes frommen Hauses, in dem er so viele Jahre
glücklich gewesen war, und Propst Vehr von Sankt
Nikolai, der beide seit lange gekannt und geliebt hat-
te, legte beider Hände ineinander. Um die Mitte Feb-
ruar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder
Propsteiwohnung ein.
Innige Liebe hatte das Band geschlossen, und Paul
Gerhardt glaubte nun den Segen um sich zu haben,
der alle bösen Geister von seiner Schwelle fernhalten
würde. Neu gekräftigt in seinem Glauben und neu
gestimmt zur Dankbarkeit, war es um diese Zeit
wohl, daß er den hohen Freudensang anstimmte:
Warum sollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch
Christum noch,
Wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir schon
Gottes Sohn
Beigelegt im Glauben?
Aber es war anders bestimmt. Die Freudigkeit des
Gemüts sollt ihm nicht zufallen , er sollte sie sich erringen in immer schwerer werdenden Kämpfen. Ein
Töchterlein, das ihm geboren wurde, starb bald, und
die Kränkungen, die das Auftreten Alborns im Geleite
hatte, zehrten immer mehr an Gesundheit und Leben
seiner nur zart gearteten Frau. Nicht frohe Tage wa-
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ren diese Mittenwalder Tage, selbst äußere Not ge-
sellte sich, und als der auch jetzt noch in seinem Glauben und Hoffen unerschüttert Bleibende jenes
Vertrauenslied anstimmte, das von Strophe zu Stro-
phe die Worte wiederholt: »Alles Ding währt seine
Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit«, da war das Herz der
sonst frommen Frau bereits klein und ängstlich ge-
nug geworden, um sich mißgestimmt und bitter fast
von einer Glaubenskraft abzuwenden, die weit über
die Kraft ihres eigenen schwachen Herzens hinaus-
ging. Tiefe Schwermut ergriff sie. Paul Gerhardt
selbst aber, in jener Freudigkeit der Seele, wie sie
das Vorgefühl eines nahen Sieges und endlicher Er-
hörung leiht, schlug seine Bibel auf und las die Worte
des Psalmisten: »Befiehl dem Herrn deine Wege und
hoffe auf ihn: er wird's wohlmachen.« Und einem
Funken gleich fiel das Wort in seine Brust. Er mußte
freier aufatmen, die Stube ward ihm zu eng, und auf
und ab schreitend in den Gängen des alten Propstei-
gartens, entquollen ihm die ersten Strophen zu je-
nem großen Trostes- und Vertrauensliede: »Befiehl
du deine Wege«.
Bewegt, aber auch erhoben ging er in das Haus zu-
rück, empfand er sich doch als Träger einer Bot-
schaft, der kein Herz widerstehen könne. Und siehe
da, an der schwermütigen Stimmung seiner Frau
erprobte das Lied zum ersten Male seine wunderbare
Kraft. Alles Leid floß hin in Tränen, alle Trübsal wur-
de Licht, und eh noch der Rausch gehobenster Emp-
findung vorüber war, war auch schon die Hülfe da –
ein Abgesandter, ein Brief, der den Mittenwalder
Propst als Diakonus an die Berliner Nikolaikirche be-
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rief. Er reichte seiner Hausfrau das Schreiben und
sagte ruhig: »Siehe, wie Gott sorget. Befiehl dem
Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl-
machen .«
Paul Gerhardt verließ Mittenwalde im Juli 1657. Dem
weitern Gange seines Lebens folgen wir an dieser
Stelle nicht, aber die Frage drängt sich auf: Was ist
der Stadt, in der einige seiner schönsten Lieder ent-
standen, aus der Zeit seines Lebens und Wirkens
erhalten geblieben? Sind noch Plätze da, die von ihm
erzählen, und welche sind es?
Die Stadt bietet nichts. Das Propsteigebäude, das
noch vor einigen fünfzig Jahren bewohnt war, ist
seitdem
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