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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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dich lassen«, die
    vom Turm herab allabendlich erklang, dieselbe alte
    Weise, von der Sebastian Bach später zu sagen
    pflegte: »er gäb all seine Werke darum hin«, und der
    fromme P. Gerhardt, der wohl wissen mochte, wie
    seine Gemeinde daran hing, trachtete jetzt danach,
    der schönen alten Melodie tiefere Textesworte
    zugrunde zu legen. So entstand das »Abendlied«:
    Nun ruhen alle Wälder,
    Vieh, Menschen, Städt und Felder,
    Es schläft die ganze Welt –
    jenes Musterstück einfachen Ausdrucks und lyrischer
    Stimmung, das durch einzelne daran anknüpfende
    Spöttereien (zum Beispiel, die ganze Welt könne nie schlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn wir
    zur Ruhe gingen) an Volkstümlichkeit nur noch ge-
    wonnen hat.
    Glaub und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die
    Kümmernisse des Lebens ihn niederdrücken wollten,
    aber ein Gefühl der Einsamkeit blieb ihm, und sein
    Herz sehnte sich nach Genossenschaft, nach einem
    Herd. Im vierten Jahre seines Amts bewarb er sich

    2654
    um die Hand Maria Bertholds, der ältesten Tochter
    jenes frommen Hauses, in dem er so viele Jahre
    glücklich gewesen war, und Propst Vehr von Sankt
    Nikolai, der beide seit lange gekannt und geliebt hat-
    te, legte beider Hände ineinander. Um die Mitte Feb-
    ruar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder
    Propsteiwohnung ein.
    Innige Liebe hatte das Band geschlossen, und Paul
    Gerhardt glaubte nun den Segen um sich zu haben,
    der alle bösen Geister von seiner Schwelle fernhalten
    würde. Neu gekräftigt in seinem Glauben und neu
    gestimmt zur Dankbarkeit, war es um diese Zeit
    wohl, daß er den hohen Freudensang anstimmte:
    Warum sollt ich mich denn grämen?
    Hab ich doch
    Christum noch,
    Wer will mir den nehmen?
    Wer will mir den Himmel rauben,
    Den mir schon
    Gottes Sohn
    Beigelegt im Glauben?
    Aber es war anders bestimmt. Die Freudigkeit des
    Gemüts sollt ihm nicht zufallen , er sollte sie sich erringen in immer schwerer werdenden Kämpfen. Ein
    Töchterlein, das ihm geboren wurde, starb bald, und
    die Kränkungen, die das Auftreten Alborns im Geleite
    hatte, zehrten immer mehr an Gesundheit und Leben
    seiner nur zart gearteten Frau. Nicht frohe Tage wa-

    2655
    ren diese Mittenwalder Tage, selbst äußere Not ge-
    sellte sich, und als der auch jetzt noch in seinem Glauben und Hoffen unerschüttert Bleibende jenes
    Vertrauenslied anstimmte, das von Strophe zu Stro-
    phe die Worte wiederholt: »Alles Ding währt seine
    Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit«, da war das Herz der
    sonst frommen Frau bereits klein und ängstlich ge-
    nug geworden, um sich mißgestimmt und bitter fast
    von einer Glaubenskraft abzuwenden, die weit über
    die Kraft ihres eigenen schwachen Herzens hinaus-
    ging. Tiefe Schwermut ergriff sie. Paul Gerhardt
    selbst aber, in jener Freudigkeit der Seele, wie sie
    das Vorgefühl eines nahen Sieges und endlicher Er-
    hörung leiht, schlug seine Bibel auf und las die Worte
    des Psalmisten: »Befiehl dem Herrn deine Wege und
    hoffe auf ihn: er wird's wohlmachen.« Und einem
    Funken gleich fiel das Wort in seine Brust. Er mußte
    freier aufatmen, die Stube ward ihm zu eng, und auf
    und ab schreitend in den Gängen des alten Propstei-
    gartens, entquollen ihm die ersten Strophen zu je-
    nem großen Trostes- und Vertrauensliede: »Befiehl
    du deine Wege«.
    Bewegt, aber auch erhoben ging er in das Haus zu-
    rück, empfand er sich doch als Träger einer Bot-
    schaft, der kein Herz widerstehen könne. Und siehe
    da, an der schwermütigen Stimmung seiner Frau
    erprobte das Lied zum ersten Male seine wunderbare
    Kraft. Alles Leid floß hin in Tränen, alle Trübsal wur-
    de Licht, und eh noch der Rausch gehobenster Emp-
    findung vorüber war, war auch schon die Hülfe da –
    ein Abgesandter, ein Brief, der den Mittenwalder
    Propst als Diakonus an die Berliner Nikolaikirche be-

    2656
    rief. Er reichte seiner Hausfrau das Schreiben und
    sagte ruhig: »Siehe, wie Gott sorget. Befiehl dem
    Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl-
    machen .«
    Paul Gerhardt verließ Mittenwalde im Juli 1657. Dem
    weitern Gange seines Lebens folgen wir an dieser
    Stelle nicht, aber die Frage drängt sich auf: Was ist
    der Stadt, in der einige seiner schönsten Lieder ent-
    standen, aus der Zeit seines Lebens und Wirkens
    erhalten geblieben? Sind noch Plätze da, die von ihm
    erzählen, und welche sind es?
    Die Stadt bietet nichts. Das Propsteigebäude, das
    noch vor einigen fünfzig Jahren bewohnt war, ist
    seitdem

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