Wanderungen durch die Mark Brandenburg
An den Wänden ziehen sich, chor-
stuhlartig, fünfundvierzig Kirchenstühle der alten
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Gewerks- und Innungsmeister hin, jeder einzelne
Stuhl an seiner Rückenlehne mit den Gewerk-
semblemen geschmückt. Vor dem Altare liegen die
Grabsteine von Burgemeister und Rat, der Altar
selbst aber, ein Schnitzwerk aus katholischer Zeit
und mit Bildern auf der Kehrseite seiner Türen, ist
mutmaßlich ein Geschenk, das von Kurfürst Joa-
chim I. der Mittenwalder Kirche gemacht wurde.
Zwischen Altarwand und Altartisch, auf schmalem
Raume, begegnen wir noch einem Christuskopf auf
dem Schweißtuche der heiligen Veronika, die Teil-
nahme jedoch, die wir diesem Bilde zuwenden, er-
lischt vor dem größeren Interesse, mit dem wir eines
Portraits ansichtig werden, das vom Seitenschiffe her
und zwischen den Pfeilern hindurch in Lebensgröße
herüberblickt. Es ist nicht das Bild als solches, das
uns fesselt, es ist der , den es darstellt: Neben der schmalen Sakristeitür, in schlichter Umrahmung,
hängt das Bildnis Paul Gerhardts.
Paul Gerhardt war Propst zu Mittenwalde von 1651
bis 1657 .
Vor etwa fünfzig Jahren wurde dieses Bildnis Paul
Gerhardts nach einem in der Kirche zu Lübben be-
findlichen Original angefertigt und der Mittenwalder
Kirche, zur Erinnerung an die Zeit seines Wirkens
allhier, zum Geschenk gemacht. Es ist ein gutes Bild;
die Züge verraten viel Milde, doch nichts Weichli-
ches, und die Unterschrift, ebenfalls dem Lübbener
Original entnommen, lautet wie folgt:
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Paulus Gerhardus theologus in cribro satanae ten-
tatus et devotus postea, obiit Lubbenae anno 1676,
aetate 70.
Rechts daneben befinden sich folgende Distichen:
Sculpta quidem Pauli viva est ut imago Gerhardi,
Cuius in ore fides, spes, amor usque fuit,
Hic docuit nostris Assaph redivivus in oris
Et cecinit laudes Christe benigne tuas:
Spiritus aethereis veniet tibi sedibus hospes,
Haec ubi saepe canes carmina sacra Deo.
Also etwa:
Ganz wie er lebte, sind hier Paul Gerhardts Züge zu
schauen,
Draus nur Glaube allein, Hoffnung und Liebe gestrahlt;
Ja, er lehrte bei uns, ein wiedererstandener Assaph,
Und er erhob im Gesang, güt'ger Erlöser, dein Lob.
Hoch von den himmlischen Höhn steigt nieder der Hei-
lige Geist uns,
Singen die Lieder wir oft, die er gesungen dem Herrn.1) Paul Gerhardt, wie schon hervorgehoben, war sechs
Jahre lang Propst an der Mittenwalder Kirche, und es
ist höchst wahrscheinlich, daß einige der schönsten
Lieder, die wir diesem volkstümlichsten unsrer geist-
lichen Liederdichter verdanken, während seines Mit-
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tenwalder Aufenthaltes, in Leid und Freud des Hau-
ses und des Amtes, gedichtet wurden.
Begleiten wir ihn auf seinem Ein- und Ausgang.
Paul Gerhardt kam spät ins Amt. Er war bereits
sechsundvierzig Jahr alt, als die Kirchenvorstände
von Mittenwalde, wo der Propst Goede eben gestor-
ben war, sich an das Ministerium der Sankt-Nikolai-
Kirche zu Berlin wandten mit dem Ersuchen, einen
geeigneten Mann für die Mittenwalder Propsteikirche
in Vorschlag zu bringen. Die Kirchenbehörden von
Sankt Nikolai waren schnell entschieden; sie kannten
Paul Gerhardt, der seit einer Reihe von Jahren als
Lehrer und Erzieher im Hause des Kammergerichts-
advokaten Andreas Berthold tätig war und durch
Lieder und Vorträge längst die Aufmerksamkeit aller
Kirchlichen auf sich gezogen hatte. Diesen empfahlen
sie. Nach zwanzigjährigem Harren sah sich Paul Ger-
hardt am Ziele seiner innigsten Sehnsucht, und mit
dem Dankeslied »Auf den Nebel folgt die Sonn, auf
das Trauern Freud und Wonn« empfing er die Voca-
tion und trat mit dem neuen Kirchenjahr 1651 ins
Amt.
Freudig begann er es und voll guten Muts, all der Gegnerschaften und Widerwärtigkeiten Herr zu werden, an denen es von Anfang an nicht ermangelte.
Neid, verletztes Interesse, gekränkte Eigenliebe –
der seit Jahren an der Mittenwalder Kirche predigen-
de Diakonus Alborn hatte darauf gerechnet, Propst
zu werden – erschwerten ihm Amt und Leben, aber
wenn er dann abends an dem offenen Hinterfenster
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seiner Arbeitsstube saß und über die Stadtmauer
hinweg in die dunkler werdenden Felder blickte, wäh-
rend von der Propsteikirche her der Abend eingeläu-
tet und eine alte Volksweise vom Turm geblasen
wurde, dann ward ihm das Herz weit, und den Atem
Gottes lebendiger fühlend, kam ihm selbst ein Lied
und mit dem Liede Glück und Erhebung. Es war die
Volksweise »Innsbruck, ich muß
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