Wanderungen durch die Mark Brandenburg
abgebrochen, und selbst der Garten, in des-
sen Gängen er mutmaßlich das »Befiehl du deine
Wege« dichtete, liegt, wüst geworden, ohne Zaun
und Einfassung zwischen zwei Nachbargärten.
Die Stadt bietet nichts mehr, wohl aber die Kirche .
Dicht unter seinem Bildnis, dessen ich bereits aus-
führlicher erwähnte, sehen wir eine Steintafel in die
Wand des Seitenschiffes eingelassen, die folgende
Inschrift trägt: »Maria Elisabeth – Pauli Gerhardts,
damaligen Propstes allhier zu Mittenwalde, und Anna
Maria Bertholds erstgebornes, herzliebes Töchterlein,
so zur Welt kommen den 19. Mai Anno 1656 und
wieder abgeschieden den 14. Januar Anno 1657 –
hat allhier ihr Ruhebettlein und dieses Täflein von
ihren lieben Eltern. Genesis 47, Vers 9: ›Wenig und
böse ist die Zeit meines Lebens.‹« Ein grüner Kranz
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faßt die Inschrift ein, und Engelsköpfe schmücken
die vier Ecken.
Neben Bildnis und Stein ist die Sakristeitür. In der
Sakristei selbst finden wir das alte Mittenwalder Kir-
chenbuch, ein großes, nach Art der Bilderbibeln in
Leder gebundenes Buch, etwa 300 Jahr alt. Die Re-
gistrierungen in diesem Buch aus der Zeit von 1651
bis Neujahr 1657 rühren alle von Paul Gerhardt sel-
ber her. Seine Handschrift ist fest, dabei voll
Schwung und Schönheit. Seine Aufzeichnungen
schließen mit dem 28. Dezember 1656.
Bild und Stein und Buch, sie mahnen an sein Wan-
deln und Wirken an dieser Stätte; fehlten aber auch
diese Dinge, die seinen Namen oder die Züge seiner
Hand tragen, die Kirche selber – im großen und gan-
zen dieselbe geblieben –, sie würde dastehn zu sei-
nem ehrenden Gedächtnis, der protestantischen Welt
mehr eine Paul-Gerhardts- als eine Sankt-Moritz-
Kirche. Wenig Modernes hat sich seit 200 Jahren
hinzugesellt, und wohin das Auge sich wenden mag,
sein Auge hat darauf geruht.
Veränderungen sollen vorgenommen werden; mögen
sie mit Pietät geschehen.
Paul Gerhardt ist unbestritten der Glanzpunkt in der
Geschichte Mittenwaldes, aber es hat der histori-
schen Erinnerungen auch noch andre.
Den 31. August 1730 traf Kronprinz Friedrich unter
starker Bedeckung, von Wesel aus, über Treuen-
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brietzen (wo er die Nacht vorher gewesen war) in
Mittenwalde ein, um daselbst, vor seiner Abführung
nach Küstrin, ein erstes Verhör zu bestehen. Das
Truppenkommando, das ihn bis Mittenwalde geführt
hatte, stand unter Befehl des Generalmajors von
Buddenbrock, desselben tapferen Offiziers, der zwei
Monate später dem mit der Todesstrafe drohenden
König mit den Worten entgegentrat: »Wenn
Ew. Majestät Blut verlangen, so nehmen Sie meines;
jenes bekommen Sie nicht, solang ich noch sprechen
darf.«2)
Kronprinz Friedrich blieb zwei Tage in Mittenwalde,
vom 31. August bis 2. September. Das Verhör fand
mutmaßlich am 1. statt. Er bestand es vor General-
lieutenant von Grumbkow, Generalmajor von Glase-
napp, Oberst von Sydow und den Geheimen Räten
Mylius und Gerbett und behauptete während dessel-
ben eine »kecke und beleidigende Zurückhaltung«.
Als Grumbkow ihm seine Verwunderung darüber be-
zeugte, antwortete er: »Ich bin auf alles gefaßt, was
kommen kann, und hoffe, mein Mut wird größer sein
als mein Unglück.«
Garnison stand damals noch nicht in Mittenwalde;
die Stadt war überhaupt noch klein und zählte
(1730) nur 952 Einwohner. In welchem Hause der
Prinz bewacht wurde, hab ich nicht mehr ermitteln
können; das »Schloß« existierte längst nicht mehr.
Das Verhör fand mutmaßlich auf dem Rathause statt.
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Das war im September 1730.
Fast siebenzig Jahre später, am Silvester-
abend 1799, tritt noch einmal eine historische Figur
auf die bescheidene Mittenwalder Bühne, um ihr
sechs Jahre lang in Leid und Freud anzugehören.
Sechs Jahre lang, wie Paul Gerhardt. Ein Kämpfer
wie dieser, nicht mit mächtigeren, aber mit derberen
Waffen. Es genügt, seinen Namen zu nennen: Major
von Yorck, der spätere »alte Yorck«.
Unterm 6. November hatte der König an den damals
in Johannisburg stehenden Major von Yorck ge-
schrieben: »Mein lieber Major von Yorck. Da die jetzt
verfügte Versetzung des Major von Uttenhoven vom
Regiment Fußjäger als Commandeur zum dritten
Bataillon des Regiments von Zenge es notwendig
macht, dem Jägerregiment (in Mittenwalde) einen
ganz capablen Commandeur zu geben, und Ich Mich
überzeuge, daß Ihr die zu diesem wichtigen Posten
erforderlichen Eigenschaften in Euch
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