Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Dabei machte er kehrt; im Publikum aber brach ein Freudenhallo aus, daß die
Coulissen ins Zittern kamen. Die Vorstellung war
aus, und alles stürmte nach Hause.
Draußen war ein Leben und Gedränge wie bei hellem
Tage, denn fortwährend brachte man Verwundete
und Gefangene zur Stadt. Wagen aller Art, bepackt
mit Lebensmitteln, Decken, Mänteln und allem, was
den ermüdeten, hungrigen Kriegern nur irgendwie
zugute kommen konnte, rollten zum Tore hinaus,
dem Schlachtfelde zu. Wir, denen Wagen und Pferde
nicht zu Gebote standen, taten an den in die Stadt
gebrachten Verwundeten, was in unsern Kräften
stand. Von Zu-Bette-Gehen war natürlich nicht die
Rede.
2712
Gegen Morgen traf ich mit einem Offizier in der
»Sonne« oder bei Jagors (wo jetzt die Passage ist)
zusammen, der im Begriff war, zu seinem Regimente
zurückzukehren, und sich nur noch mit einer Tasse
Kaffee stärkte. Der ergänzte die bruchstückweisen
Nachrichten, die wir bis dahin von der Schlacht er-
halten hatten.
Auf der Straße traf ich bald danach einen mir von
alter Zeit her bekannten und damals zu den popu-
lärsten Figuren Berlins gehörenden Hofschlächter-
meister, der mich einlud, auf seinem mit Wurst,
Schinken und Brot beladenen Wägelchen Platz zu
nehmen und mit ihm hinauszufahren. Und ich ließ
mir das nicht zweimal sagen.
Aber freilich, den Anblick des Schlachtfelds werd ich
all mein Lebtag nicht vergessen. Unfern der Mühle
lag ein blutjunger französischer Offizier, die Brust
von einer Kartätschenkugel zerschmettert. Aus der
zerrissenen Uniform blickte vorne zwischen den
Knöpfen ein rotes Portefeuille hervor. Wir öffneten es
und fanden unter mehreren Briefen einen, der noch
nicht gesiegelt, aber bereits mit einer Aufschrift in
französischer Sprache versehen war: »An Herrn Ca-
puzzo, Mitglied des Kriminalgerichts zu Genua«. Der
sollte, wie aus dem Briefe hervorging, der Schwie-
gervater des Toten werden, und beigelegt war ein
verschlossenes Briefchen an die Braut. Es schloß mit
den Worten: »Ich hoffe diesen Brief heut abend auf
die Post in Berlin zu geben.«
Nun taten wir es.
2713
Abends am 24. aber sang man im Theater die Sie-
geskantate, die Gubitz am Tage vorher gedichtet und
Himmel, als er seinen Rausch ausgeschlafen, in eine
vortreffliche Musik gesetzt hatte.
1. Friedrich Tietz, ein halbes Jahrhundert lang
Berliner Publizist und Mitarbeiter an einer
großen Zahl unsrer Blätter (»Vossische«,
»Fremdenblatt«, »Kreuz-Zeitung«), wurde
den 24. September 1803 zu Königsberg i. Pr.
geboren und starb am 6. Juli 1879 zu Berlin.
Alles Beste, was er geschrieben, sind Theater-
und Lebenserinnerungen. Mitunter gelang ihm
auch ein Gelegenheitsgedicht etc. Eins der-
selben – bei Gelegenheit der Geburt des Prin-
zen Wilhelm (27. Januar 1859) gedichtet – ist
so gut, daß es in glücklichem Einfall und gra-
ziösem Humor der Ausführung als Muster-
stück gelten kann. Ich setz es hierher und bin
der Meinung, daß der Verfasser desselben in
nichts Besserem fortleben kann.
Preußischer Frühling im Januar 1859
Noch ist es lang hin bis zum Frühlingsgrün,
Bis zu Blütenduft und Blumenblühn,
Bis zum Jubel der kleinen Waldvögelein,
Bis zum Fluge der Schwalben im Sonnenschein.
Und dennoch aus fernem, aus warmem Land,
Wohin der Winter den Flücht'gen verbannt
2714
Ist heimgekehrt ein verfrühter Gast,
Ein allbekannter, zu erneuter Hast.
Er sucht sich die höchsten Giebel wohl aus
Und baut dort sein Nest auf der Menschen Haus,
Und wo er es tut, tönt's ihm entgegen:
»Willkommen! Du bringst dem Hause Segen!«
Wer mag noch fragen zu dieser Stund,
Welchen Gast wir meinen? Des Volkes Mund
Ruft jubelnd aus: »Nun ist er da!
Der Storch ist gekommen! Viktoria!«
Und alle schaun herzfreudigen Blicks
Hinauf zur erwählten Stätte des Glücks,
Zum Königspalast, des höchste Spitze
Der schwarzweiße Vogel erwählt zum Sitze.
Der Adler daneben dehnt majestätisch
Die Fittiche aus und spricht gravitätisch:
»Weil du, mein beflügelter Herr Kumpan,
Am Preußenland so was Braves getan,
So will ich dich ehren fortan als Freund
Und hoff, wir sehn uns hier oft noch vereint!«
Der Storch beugt sein langbeschnäbeltes Haupt
Und spricht: »Wenn's gnädigst mir ist erlaubt,
So bring ich alljährlich, was heut ich gebracht.«
Da hat der preußische Adler gelacht:
»Herr Vogel-Bruder, ich halt dich beim Wort!
Vermehre du fleißig der Preußen Hort;
Der Storch
Weitere Kostenlose Bücher