Wanderungen durch die Mark Brandenburg
korrespondierte mit
ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war die ab-
solute Bedürfnislosigkeit, eine völlig auf das Geistige gestellte Natur, und unsere Tage des Materialismus
würden ihm schwerlich gefallen haben. Er trug jahr-
aus, jahrein einen Leinwandanzug (auch der alte
Zieten in Wustrau war so gekleidet), den er nur ab-
legte, wenn er sich auf Besuch nach Berlin begab.
Dies geschah alle Jahr einmal, und zwar auf vier Wo-
chen. Er stieg dann in Krauses Kaffeehaus ab, dem
jetzigen »Hôtel de Brandebourg«, und verbrachte die
ganze Zeit mit Konversation und Schachspiel. Nach
dieser Berührung mit der Welt, zu der er sich eigent-
lich immer nur entschloß, um sein großes Geschick
im Schachspiel nicht einrosten zu lassen, begab er
sich wieder in seine Einsamkeit zurück, um sich an
Büchern und – Wasser aufs neue zu stählen. Er war
ein Vorläufer der Hydropathie. Personen, die ihn
noch gekannt haben, sagen aus, daß er sich in Was-
ser, incredibile dictu, berauscht habe. Vielleicht
nahm man gewisse Exzentrizitäten für Rausch. Er
hatte eine trunkene Seele. Auch eine Mischung von
Donquichotterie und Eulenspiegelei ließ sich an ihm
wahrnehmen. Als er vom Ausbruch des Krieges hör-
te, befahl er, den Turm abzutragen, damit das Dorf
von vorüberziehenden Kriegsscharen nicht bemerkt
werden möge. Mit leidenschaftlichem Eifer verfolgte
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er die Napoleonischen Kriegs- und Siegeszüge. Als
der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage von
Austerlitz endigte, sagte er den Ausgang des Kamp-
fes vorher, auch den herannahenden Sturz der preu-
ßischen Monarchie. Dieser eine Gedanke beschäftigte
ihn Tag und Nacht und quälte ihn zuletzt bis zum
Unerträglichen. Er wollte das Unwetter sich nicht
entladen sehen und – erschoß sich in bloßer Vorah-
nung dessen, was kommen würde, nachdem er zuvor
die Angelegenheiten seines Hauses mit philosophi-
scher Ruhe geordnet hatte.
Von den Gröbens kam das Gut an die Knesebecks.
Diese besitzen es noch. Der erste von ihnen, der sich
hier heimisch einrichtete, war Friedrich Wilhelm
Ludwig von dem Knesebeck, Halbbruder des Feld-
marschalls. Von diesem Friedrich Wilhelm Ludwig
von dem Knesebeck gedenk ich zu erzählen. Sein
Leben erscheint zwar als eine bloße Skizze neben
dem farbenreichen Bilde seines berühmten Bruders,
es bedarf indessen keines langen Suchens und For-
schens, um wahrzunehmen, daß beide Brüder Zwei-
ge desselben Stammes waren. Sie wirkten in ver-
schiedenen Kreisen: der eine in der beschränkten
Sphäre einer kleinen Stadt, der andere in dem weit
gezogenen Kreise des staatlichen Lebens; aber der
Pulsschlag beider war derselbe, und wie verschieden
auch ihr Leben sich gestaltete, an Mannesmut und
adliger Gesinnung, an Vaterlandsliebe, Gemeinsinn
und Opferfreudigkeit standen sich beide gleich. Beide
– märkische Edelleute von Kopf bis zu Fuß. Nur ge-
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sellte der ältere Bruder zu dem ihnen im Charakter
Gemeinsamen auch noch hohe Gaben des Geistes,
und das schuf einen Unterschied. Der kühne Kopf, der den Gedanken gebären konnte: den unbesiegba-ren Imperator durch die bloße Macht des Raumes,
das heißt durch Rußland, zu vernichten, stand so
hoch, daß er die Nebenbuhlerschaft eines andern
Geistes nicht leicht zu fürchten hatte. Die Talente
waren verschieden.
Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck wurde
den 29. März 1775 zu Karwe geboren. Er trat als
Lieutenant in das zu Ruppin garnisonierende Re-
giment Prinz Ferdinand ein und machte als solcher
die Rheincampagne mit. Ein Duell und eine Verwun-
dung, die er empfing, veranlaßten ihn im Jah-
re 1800, seinen Abschied zu nehmen. Ruppin war
ihm lieb geworden, und er verblieb als Bürger in ei-
nem städtischen Kreise, darin er als Offizier eine
Reihe glücklicher Jahre verlebt hatte. So kamen die
Tage von Jena und Auerstedt; unsere Truppen, so-
viel oder sowenig ihrer noch waren, retteten sich
über die Oder, und das Land lag offen und wider-
standslos vor dem nachrückenden Feinde da. Am
Tage Allerheiligen traf in Ruppin die Nachricht ein,
daß die Franzosen im Anzuge seien. Was tun? Wer
hatte den Mut und die Fähigkeit, die Stadt zu vertre-
ten? Eine Wahl war bald getroffen, wo nur einer ge-wählt werden konnte. Alle Stimmen vereinigten sich
auf Knesebeck; man gab ihm eine Art diktatorischer
Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt seiner Ge-
schicklichkeit und dem Glück seiner Hand.
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Der Abend
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