Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Unbefangenheit, daß er weder Zeug-
nisse noch andere Papiere habe. Die Ruhe, mit der
diese Erklärung abgegeben wird, hat etwas Provoka-
torisches, und Stabfuß beginnt seinem Ärger Luft zu
machen. Richard Lucae repliziert ebenso, der Lärm
wird immer größer, und der alte Schadow, dessen
schläfrig scheinender Aufmerksamkeit in Wahrheit
nichts entgangen ist, ruft endlich über den Tisch hin:
»Wat is denn los?«
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Statt aber eine direkte Antwort zu geben, tritt der
Professor vom andern Saalende her an den Alten
heran, zeigt auf das Jüngelchen, das ihm gefolgt ist,
und sagt in gereiztestem Tone: »Herr Direktor, hier
ist einer von den Lucaes nebenan; er will in die Gips-
klasse; aber nichts ist in Ordnung.«
»So, so«, brummelt der Alte, hebt den Augenschirm
halb in die Höh, mustert den jungen Aspiranten der
Gipsklasse und sagt dann: »I, det is ja Richard.«
Der Angeredete verbeugt sich zustimmend.
»Höre, Richard, sage doch Muttern, der letzte Ku-
chen war wieder sehr gut. Aber vergiß 't nich.«1)
Die Professoren, längst an Intermezzos dieser und
ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich vor sich
hin, wie wenn sie sagen wollten: »ganz im Stil des
Alten«, und nur Stabfuß beißt sich auf die Lippen,
denn er ahnt, daß seinem Ansehn eine neue große
Niederlage bevorstehe.
»Na, Richard«, fährt der Alte fort. »Du wist also in de Gipsklasse?«
»Ja, Herr Direktor.«
»Haste denn ooch Lust?«
»Ja, Herr Direktor.«
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»Hast ooch schon gezeechnet?«
»Ja, Herr Direktor.«
»Na, denn zeechne mal 'n Ohr; aber aus 'n Kopp .
Stabfuß, gehen Se mal Papier her un 'n Bleistift.«
Der Angeredete gehorcht mit süßsaurem Gesicht.
»So. Na, nu setzt de dir hier an 'n Disch un zee-
chenst.« Unser junger Aspirant tut wie befohlen,
zeichnet ein Ohr und überreicht es dem neben ihm
stehenden Stabfuß. Dieser, in begreiflicherweise
höchst kritischer Laune, beginnt zu mäkeln, aber
seine Geschicke vollziehen sich unabwendlich.
»Geben Se mal her«, unterbricht ihn der Alte, klappt
den grünen Schirm abermals in die Höh, befühlt und
bekuckt das Papier von allen vier Seiten und sagt
dann: »Stabfuß, bedenken Se – aus 'n Kopp . Det Ohr is jut. Schreiben Se 'n man in.«
Und so kam Richard Lucae in die Gipsklasse.
Und so war der alte Schadow, setzen wir hinzu. Ein
Zwiespalt ging durch sein Leben: Griechentum und
Märkertum hielten sich das Gleichgewicht oder ver-
banden sich zu einem wunderbar humoristischen
Gemisch. Wenn er in den Saal tapste oder das Ta-
schentuch zog (was viel öfter geschah, als schön
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war), war er ganz der Sohn seines Vaters aus Dorf
Saalow, wenn er den Stift in die Hand nahm, war er
das Kind einer glücklicheren Zone. Mark Branden-
burg und Athen erschienen abwechselnd als seine
Heimat. Sein Körper und seine Seele lebten mitein-
ander wie Venus und Vulkan. Diese Zwiespältigkeit
wurde zuletzt sein Stolz, und er machte das Beste
draus, was sich draus machen ließ, ein Original . Und wirklich, immer nur solche Derbheitsgestalten sind
bei unserm Volke populär geworden: der Alte Des-
sauer, Friedrich der Große, Blücher. Auch unser gro-
ßer Kanzler gehört hierher. Alles Patente wird
beargwohnt oder ist einfach lächerlich.
Das ganze Auftreten Schadows erinnerte vielfach an
die Meister des fünfzehnten und sechzehnten Jahr-
hunderts. Er war ein Peter Vischer ins Märkisch-
Berlinische übersetzt und hielt noch aufs Handwerk , immer davon ausgehend, daß es besser sei, das
Handwerk zur Kunst als die Kunst zum Handwerk zu
machen. Von Bürgersinn und Bürgertrotz war ihm
ein gerüttelt und geschüttelt Maß geworden, und
gegenüber modernen Künstlerprätensionen hielt er's
ganz mit der alten Schule, die sich mehr ums Sein
als ums Scheinen kümmerte. Das Schwierige des
bloßen, äußerlichen Machen-Könnens betonte er
gern, und in ähnlicher Weise, wie Ludwig Tieck zu
sagen pflegte: »Es ist immerhin eine Arbeit , einen dreibändigen Roman zu schreiben, gleichviel ob er
gut oder schlecht ist«, so sagte auch Schadow, wenn
Skizzen über Gebühr und auf Kosten ausgeführter
Arbeiten gelobt wurden: »Papier is weech, aber
Steen is hart.«
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In einem gewissen Zusammenhange mit diesem Be-
tonen des Handwerklichen in der Kunst war es auch,
daß er mit Vorliebe zitierte: »Der Arbeiter ist seines
Lohnes wert«, und sich jedesmal ärgerte, wenn ei-
nem Künstler zugemutet wurde, vom
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