Wanderungen II. Das Oderland.
– es wurde nicht reiner Mund gehalten, und die Schweden schlüpften aus dem Garn. Ihr Rückzug ging auf Tilsit. Der Kurfürst, als er diese Nachricht empfing, resolvierte sich schnell, und da von Einschließung und Gefangennahme des Feindes nicht länger die Rede sein konnte, so galt es, ihn einzuholen . In Geschwindmärschen ging es bis Braunsberg und Heiligenheil, dann – um Zeit zu sparen – in Schlitten über das Frische Haff. Schon am 16. war Königsberg erreicht, und nach eintägiger Hast folgte man in drei Abteilungen den Schweden, die mittlerweile Tilsit besetzt und daselbst haltgemacht hatten. Die drei brandenburgischen Abteilungen bestanden aus einer äußersten »Spitze« von 1000 Mann, aus einer eigentlichen Avantgarde von 3000 und aus einem Gros von etwa 5000 Mann. Treffenfeld führte die Spitze, Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürst selbst das Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das Frische Haff passiert hatten, so jetzt das Kurische zwischen Labiau und Gilge; aber die Nähe des Feindes erlaubte keine Schlittenfahrt mehr, und kampffertig, in Reih und Glied ging es über das Eis. Die Schweden standen inzwischen nach wie vor bei Tilsit und schienen entschlossen, das preußische Gebiet nicht ohne Schwertstreich räumen zu wollen. So kam es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter, wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages war; dann tags darauf, am 21., bei Heydekrug, wo Görtzke die feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin waren alle Ehren des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen; erst der weitere Verlauf des Kampfes gab auch Schöning Gelegenheit, sich auszuzeichnen.
Das Gefecht bei Heydekrug hatte über die Schweden entschieden, und in schleunigem Rückzuge ging es nördlich auf Riga zu. Die Frage für den Kurfürsten war, ob er diesen Rückzug ruhig gestatten oder die Fliehenden verfolgen und sich eines gefährlichen Feindes womöglich für immer entledigen sollte. Er entschied sich für das letztere. Die schwierige Aufgabe der Verfolgung, des Nacheilens durch verschneite Wüsteneien hin, fiel Schöning zu. Mit 1600 Reitern brach er auf. Diese bescheidene Zahl würde der schwedischen Armee gegenüber, die immer noch nach Tausenden zählte, sicherlich in eine sehr bedenkliche Lage gekommen sein, wenn nicht die verfolgenden Brandenburger in der litauischen Bevölkerung einen Bundesgenossen gefunden hätten. Kälte und Bevölkerung schienen sich zu einer völligen Vernichtung der Schweden verschworen zu haben. Oberst Truchseß, den Schöning auf diesem Zuge mit einer Meldung an den zur Zeit noch in Königsberg weilenden Kurfürsten zurückschickte, traf mit den Worten im Hauptquartier ein: die Brandenburger hätten keine Wegweiser nötig, um dem Feinde zu folgen, weil der ganze Weg mit toten Schweden bedeckt sei. »Viele kommen vor Kälte um, aber die meisten fallen von den Händen der Landesbewohner; die litauischen Bauern schlagen die Schweden mit Keulen tot und legen die Keulen alsdann auf den erschlagenen Körper.«
So war die Lage des schwedischen Heeres. Aber wir würden irren, wenn wir daraus den Schluß ziehen wollten, daß es ein leichtes gewesen wäre, diesem Heere zu folgen. Das Folgen selbst, ganz abgesehen von Kampf und Krieg, war ein Schrecknis. Die Kälte stieg oft auf sechsundzwanzig Grad, vielen erfroren ganze Gliedmaßen, niemand hatte Geld, und die wenigen, die noch eine Münze in der Tasche hatten, konnten meist nichts dafür erstehen. So näherte man sich Telcze, einem Städtchen etwa halben Weges zwischen Tilsit und Riga und nur fünf Meilen noch von der kurischen Grenze (damals schwedisch) entfernt. Hier beschloß Horn, der ohnehin mit Beschämung wahrgenommen haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles schwächer sei als er selbst, das Glück der Waffen noch einmal zu versuchen, und ziemlich unvermutet sahen sich Schöning und seine Brandenburger einem plötzlich standhaltenden Gegner gegenüber, den man sich gewöhnt hatte auf diesen Schneefeldern zu verfolgen, aber nicht zu bekämpfen. Von dem Augenblick ab, wo sich Horn zu dem Entschluß eines Widerstandes aufraffte, war die Lage Schönings eine sehr bedrohte. Nichtsiegen war gleichbedeutend mit völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze.
Horn hatte von seinen 16 000 noch etwa 3000 Mann übrig, mit ihnen eine ziemliche Anzahl von Geschützen; Schöning, da die bittere Kälte viel Menschenleben
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