Wanderungen II. Das Oderland.
Lied verklungen, und nur noch die Sage geht von Mund zu Mund.
----
Zum Teil freilich waren die schiefen Stellungen, in die er beständig geriet, unverschuldet. General von Promnitz wollte sich mit ihm schießen, weil Schöning statt seiner das Kommando zur Verfolgung Horns erhalten hatte, und General Beauvais d'Espagne nahm 1687 den Abschied, »weil er es nicht ertragen konnte, daß man dem General Schöning, der nach dem ungarischen Feldzug ein Liebling des Großen Kurfürsten geworden war, den Vorzug einräumte«. ._.
----
Ist es nötig zu sagen, daß Marwitz unter diesen gesunden Elementen war? Er glaubte an die Wiedererstehung Preußens und arbeitete daran. Die Mittel und Wege, die ihm dazu die rechten dünkten, waren freilich völlig abweichend von dem, was in den Augen der Neugestalter Preußens als das Richtige galt. Er konnte und wollte sich nicht überzeugen, daß Adel und Bürgertum als solche, oder ihr Verhältnis zueinander, das Unglück des Landes verschuldet haben sollten; umgekehrt erschien es ihm, als sei das Unheil hereingebrochen, weil beide Stände ein halbes Jahrhundert lang aufgehört hätten, ein echter Adel 1) und ein rechter Bürgerstand zu sein. Die alten Stände des Landes sollten sich selbst wiederfinden; der Egoismus sollte ausgefegt, die Zugehörigkeit zum Staat und das Bewußtsein davon neu geboren werden. An die Stelle des Schlendrian und der Laxheit sollten Umsicht, Pflichtgefühl und Rechtsbewußtsein, an die Stelle der Frivolität eine frische Glaubenskraft treten. In diesem Sinne wollte Marwitz reformieren. Gegen den Plan wird sich nichts sagen lassen. Ob es möglich war, ihn auszuführen, diese Frage werd ich später berühren. Die Steirische Gesetzgebung erschien ihm unpraktisch und revolutionär, aber er war insoweit mit ihr einverstanden, als sie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geistigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geistige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel selbst schienen ihm nicht richtig gewählt.
Marwitz liebte den rheinischen Freiherrn (Stein) nicht, aber er respektierte ihn. Anders stand er zu Hardenberg. Dieser war ihm ein Gegenstand entschiedenster Abneigung, seine ganze Natur lehnte sich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegensatze zu Stein, wollte das Wohl des Staats aus der sogenannten »Staatswohlfahrt« gewinnen. Nicht der Geist sollte helfen, sondern das Geld . Diesen Staatswohlfahrtstheorien gegenüber – die in der finanziellen Bedrängnis des Landes ihre Entschuldigung fanden, wenn sie überhaupt der Entschuldigung bedürfen – legte sich Marwitz die Frage vor: Beruht das Heil des Staates auf ökonomischen oder auf moralischen Prinzipien? Ist der reichste Staat seines Reichtums wegen der glücklichste? Oder verdient der glücklich genannt zu werden, in welchem die Freiheit der Bürger am festesten gegründet ist und in welchem die Bürger am ehesten fähig sind, ihr persönliches Wohl dem des Staates nachzusetzen? Und wenn ein Staat durch die Unbürgerlichkeit seiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer) gefallen ist, kann ihm durch ökonomische Maßregeln geholfen werden? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das verlassene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurückführen kann? Und wenn man endlich den entbürgerten, also selbstsüchtigen Individuen Reichtum darreicht, werden sie dadurch bürgerlicher werden oder nicht vielmehr noch selbstsüchtiger? Diese Fragen waren es, die sein Herz bewegten, und im Sinn und Geist derselben stellte er sich Hardenberg gegenüber.
Möglich, daß diese Ideen nie über Schloß Friedersdorf hinaus laut geworden, nirgends als ein Samenkorn in die Gemüter anderer gefallen wären, wenn nicht bestimmte Ereignisse des Jahres 1811 unsern Marwitz auf die Schaubühne gerufen und in den Vordergrund politischer Kämpfe gestellt hätten. Wie es immer in solchen Fällen sein muß, ging er , der den Streit aufnahm, vom Zunächstliegenden auf das Große und Allgemeine über. Der Rechtskampf führte zum Prinzipienkampf . So war es immer, wo Ernstes und Nachhaltiges erstritten wurde. Das bloße Sichverlieben in Prinzipien ohne festes Fundament bleibt in der Regel ein energieloses Ding.
Die erwähnten Ereignisse aber, die für Marwitz' späteres Auftreten entscheidend wurden, waren die folgenden.
Hardenberg war entschlossen, die Macht der Stände zu brechen, ihre Existenz zu streichen; Schlag auf Schlag fiel gegen die alte Landesinstitution. Er verfuhr nach bester Überzeugung, aber völlig
Weitere Kostenlose Bücher