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Wanderungen II. Das Oderland.

Wanderungen II. Das Oderland.

Titel: Wanderungen II. Das Oderland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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daß die ganze Satire in etwa vierzehn Tagen geschrieben und doch immer noch voller Fehler sei, während alles Gute darin dem Horaz oder Juvenal entstamme. Oder auch dem Boileau.
    So waren die Verspakete, die die kronprinzlichen Briefe nach Tamsel hin begleiteten. Diese selber glichen Aufsätzen und hoben das literarische Interesse weit über das Herzensinteresse hinaus.
    Etwa um die Mitte November, kurz vor seiner völligen Aussöhnung mit dem Vater, schreibt er:
    »Verehrteste Cousine! Des guten Glaubens, daß Sie zu meinen besten Freunden in diesen Gegenden zählen, kann ich nicht unterlassen, Ihnen einen Plan mitzuteilen, der sich auf meinen demnächstigen Einzug in Berlin bezieht. Es ist ohngefähr folgendes, was ich Ihnen darüber mitzuteilen habe. Der Zug soll durch eine Herde jener verpönten Tiere von zartem Fleisch und unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zufallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner Instinkte zu schreien. Dann folgt eine Schaf- oder Hammelherde unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Herde podolischer Ochsen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich selbst. Mein Aufzug ist folgender: ein großer Esel trägt mich, so einfach als möglich aufgeschirrt. Statt der Pistolenhalfter befinden sich zwei Getreidesäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlsack vertritt die Stelle von Sattel und Schabracke. So sitz ich da, einen Knittel als Peitsche in der Hand und einen Strohhut statt des Helmes auf dem Kopf. Zu beiden Seiten meines Esels marschiert ein halbes Dutzend Bauern mit Sensen, Pflugscharen und anderen Attributen der Landwirtschaft und müht sich, Schritt zu halten und einen Ernst zu zeigen, wie er der Sache angemessen ist. Dann folgt, auf der Höhe eines schwerbeladenen Heuwagens, die heroische Gestalt des Seigneur von Natzmer, der Wagen selbst von vier Ochsen und einer Stute gezogen. Ich bitte Sie, verehrteste Cousine, mich bei Anordnung dieser Zeremonie unterstützen zu wollen. Was mich angeht, so zieh ich es vor, eine wirkliche Ursache zu Hohn und Spott zu geben, als ohne allen Grund von einem frechen Volkshaufen ausgelacht zu werden. Ich treffe alle Vorbereitungen für diesen meinen Einzug und warte nur noch Ihrer Ordre, um sie ins Werk zu setzen.«
    Dieser Brief, mit allen seinen Vorzügen und Schwächen, was ist er anders als ein kleiner humoristischer Versuch, der der schönen Freundin in Tamsel übersandt wird, um bei nächster Gelegenheit einiges Schmeichelhafte darüber zu hören.
    Noch einmal, die ästhetisch-literarischen Bedürfnisse des Kronprinzen schufen und unterhielten das Verhältnis, und wenn die Gefühle des jungen Poeten, wie kein Zweifel ist, zuzeiten die Gestalt einer leidenschaftlichen Zuneigung annahmen, so bleibt es doch mindestens ungewiß, ob diese Neigung eine glückliche, eine gegenseitige war. Wenn wir darüber die Schlußsätze des letzten Briefes vom 20. Februar zu Rate ziehen, so scheint es beinahe, daß Frau von Wreech einfach hinnahm, was sie nicht ändern konnte, und daß sie, namentlich nach Ablauf einer ersten Epoche poetischer Bewunderung, des Kronprinzen Liebe mehr duldete als erwiderte. Diese Schlußsätze des prinzlichen Briefes lauten: »So schicke ich Ihnen denn mein Bild. Ich hoffe, daß es mich wenigstens dann und wann in Ihre Erinnerung bringen und Sie zu dem Zugeständnis veranlassen wird: er war au fond ein guter Junge (un assez bon garçon), aber er langweilte mich, denn er liebte mich zu sehr und brachte mich oft zur Verzweiflung mit seiner unbequemen Liebe.«
    Diese Worte, die fast wie ein Résumé klingen, sind mir als besonders charakteristisch erschienen. Ende Februar verließ der Kronprinz Küstrin, um vorläufig nicht mehr dahin zurückzukehren.
     
    Die Jahre gingen, andere Zeiten kamen. Das Verhältnis, das einen Winter lang soviel Trost und Freude gewährt hatte, schien tot, und erst sechsundzwanzig Jahre später sehen wir den Kronprinzen, nun König Friedrich, abermals in Tamsel.
    Aber wie anders sieht ihn jetzt Tamsel an! Es ist am 30. August 1758, fünf Tage nach der Schlacht bei Zorndorf. Das Schloß ist von den Russen ausgeplündert, alle Bewohner sind geflohen, der zurückgebliebene Lehrer der Wreechschen Kinder liegt erschlagen im Park, alles ist wüst, öde, halb verbrannt, und nur mit Mühe konnt ein Tisch für den König herbeigeschafft werden. Und jetzt gedenkt er entschwundener Tage und alter Pflicht und alter Liebe, und angesichts der Zerstörung, die sein Herz an

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