Wanderungen II. Das Oderland.
Vaterlandes auf dem Spiele standen. Das Einstehen für das Ganze war seinem Herzen Bedürfnis, und die höchsten Kräfte des Menschenherzens: Treue, Pietät und Opferfreudigkeit, waren in seiner Seele lebendig. Er war schroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüt. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geistigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Wert, und im Kampfe für sie hat er sein Leben hingebracht. Möglich, daß er in diesem Kampfe geirrt; es würde nichts ändern an der Wertschätzung, die seinem Streben gebührt. Denn jedem selbstsuchtslos geführten geistigen Kampfe gelten unsere Sympathien, und erst aus Streben und Irren gebiert sich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieser näher geführt.
»Er war«, so schließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geschrieben, »ein Mann von altrömischem Charakter, eine kräftige, gediegene Natur, ein Edelmann im besten Sinne des Worts, der in seiner Nähe nichts Unwürdiges duldete, allem Schlechten entschieden in den Weg trat, Recht und Wahrheit verteidigte gegen jedermann, der die Furcht nicht kannte und immer in den Reihen der Edelsten und Besten zu finden war. Alles Versteckte, Unklare und Erheuchelte war ihm von Herzen zuwider. Wie er streng war gegen sich selbst, war er es auch gegen andere. In Fleiß und guter Wirtschaft, in Frömmigkeit und strenger Sittlichkeit, in einem rechtschaffenen Wandel strebte er, seiner Gemeinde ein Vorbild und Muster zu sein.«
An ernstem Streben, an Ringen nach der Wahrheit, an selbstsuchtsloser Vaterlandsliebe sei er Vorbild und Muster auch uns .
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Ein glücklicher Zufall hat uns auch die Reimzeilen aufbewahrt, mit denen Frau von Wreech diese poetische Adresse des Kronprinzen beantwortete. Sie wurden nämlich im Brouillon auf die Rückseite des kronprinzlichen Briefes geschrieben und lauten wie folgt:
Welch Wunder trug sich zu? Was ist's, das sich begab?
Es steigt ein Königssohn, ein Prinz zu mir herab,
Besingt in Liedern mich und fordert mich zum Streit;
Antworten seinem Lied wär wie Verwegenheit,
Ich kann es nicht, nein, nein, verwirrt in jedem Sinn,
Fährt, über was ich schrieb, die Feder wieder hin. Wohl hab ich oft gehört, an diesem, jenem Ort,
Wer nur im Herzen fühlt, dem gibt sich auch das Wort,
Doch trät ich keck zum Kampf mit dir, Erhabener, ein,
Müßt ich an Witz und Wort zuvor dein Echo sein. Solch Echo bin ich nicht: all meiner Seele Schwung
Entspringt aus einem nur, aus der Bewunderung,
Womit ich vor dir steh; dein Tun, das in mir lebt,
Dein Schicksal ist's allein, was mich zu dir erhebt. Es huldigt mir dein Wort; ich habe des nicht Leid,
Ist doch huldvolles Wort der Hoheit schönstes Kleid,
Und du, du botest mehr, der Grazien schöne Hand
Gestaltete zum Lied, was deine Huld empfand,
Du gabst mehr Ehre mir, als je mein Herz erfuhr,
Und all mein Sein ist Dank und stille Huld'gung nur.
Dies sei genug. Auffallend ist es, daß sich in diesen Versen, die spätere Ruhmesbezeichnung gleichsam antizipierend, bereits der Ausdruck »le grand Frédéric« vorfindet. Das bewundernde Hinaufblicken aber zu diesem grand Frédéric erklärt sich wohl überwiegend aus der erst kurze Zeit zurückliegenden »Küstriner Tragödie«, die den Kronprinzen, vor aller Welt Augen, mit einem Märtyrer- und Glorienschein umkleidet hatte.
Ich sagte, die Sechsfüßler, die der Kronprinz seinen Briefen beilegte, waren doppelter Art: einerseits Huldigungen gegen Frau von Wreech, andererseits kleine literarische Beilagen, die ein Geplauder, einen Meinungsaustausch, eine espritvolle Kontroverse wachrufen sollten. Begreiflicherweise sind es diese letzteren, denen ich ein besonderes Gewicht beilege, weil sie das ästhetisch-literarische Fundament des Verhältnisses ungleich besser charakterisieren als jene Huldigungsstrophen.
Diese literarischen Beilagen bestanden zunächst aus Satiren , ebenfalls in den unvermeidlichen Alexandrinern geschrieben. Er rächt sich in ihnen für alle während seiner Gefangenschaft erlittene Unbill, und jeder, der ihn gepeinigt oder auch nur vorübergehend gelangweilt hat, erhält seinen Geißelhieb. Der Gouverneur von Lepel, der Kammerdirektor Hille, die neidische Frau von Wolden, alle ziehen sie noch einmal vorüber, zuletzt die Colonelle Eberts, von der es heißt, »daß sich über ihre Dummheit eine ganze Änëide schreiben ließe«. An Noten, Erläuterungen und Randbemerkungen ist kein Mangel, und in einem Postskriptum erfahren wir,
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