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Wanderungen II. Das Oderland.

Wanderungen II. Das Oderland.

Titel: Wanderungen II. Das Oderland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Adel nahm in seinen Augen nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch moralisch eine überlegene Sonderstellung ein; seine Gesinnung war besser, ebenso seine Haltung, und soviel Wahrheit und partielle Berechtigung, namentlich angesichts unseres märkischen Spießbürgertums, in dieser Auffassung liegen mochte, so führte dieselbe doch gelegentlich zu den allerbedenklichsten Konsequenzen. Eine Anekdote mag dies zeigen.
    Im Jahre 1806 traf unser Marwitz, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schlosse zu Weimar mit Goethe zusammen. Wie schildert er nun diesen? »Er war ein großer, schöner Mann, der, stets im gestickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Minister sehen ließ und die Würde seines Ranges gut repräsentierte, wenngleich der natürlich freie Anstand des Vornehmen sich vermissen ließ .« Also auch Goethe konnte sich in Haltung und Erscheinung nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anstandsvoller Minister und ein großer Poet, war der Freund seines Fürsten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bürgerssohn zu Frankfurt, ließ er doch den »freien Anstand des Vornehmen vermissen«. Es gebrach ein unaussprechliches Etwas, vielleicht die Hohe Schule des Regiments Gensdarmes.
    Und bei dieser Gelegenheit mög ein kleiner Exkurs gestattet sein. Es ist mit der Kunst des Anstands wie beispielsweise mit der Kunst des Reitenkönnens und vielleicht mit vielen andern Künsten. Jeder, Individuum wie Nationen, glaubt im Besitze des Rechten zu sein. Die englischen Gentlemen sagen zu deutschen Kavalieren: »Ihr seid die besten Reiteroffiziere, aber ihr könnt nicht reiten«, und die deutschen Kavaliere erwidern dem englischen Gentleman: »Ihr versteht euer fox-hunting und steeple-chase, aber enfin, ihr könnt nicht reiten.« Und ein stilles Bedenken mischt sich dabei von rechts und links her ein, daß dem diesseitigen perfekten Kavalier und dem jenseitigen perfekten Gentleman doch noch dies und das zu seiner Vollkommenheit fehle. Und wie mit der Kunst des Reitens, so mit der Kunst der feinen Sitte. Die Gesetze derselben sind überall verwandt, aber ihre Formen weichen voneinander ab. Da, wo noch an eine ausschließliche Form der Gesellschaft geglaubt wird, hat die Gesellschaft selbst ihre höchste Blüte noch nicht erreicht.
    In Standesvorurteilen, wie sie das Urteil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber er verfuhr auch hierin nach Überzeugung und stumpfte dadurch den Stachel des persönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht schwer, die Wurzel seines Irrtums zu erkennen. Während er nämlich sich selbst als Repräsentanten des Adels nahm, nahm er den ersten besten Bürgerlichen als Repräsentanten des Bürgerstandes. Der Zufall wollte, daß er in sich selbst einen so vollkommenen Vertreter adeliger Gesinnung zur Hand hatte, daß, bei solchem Herausgreifen aufs Geratewohl, der Bürgerliche mit einer Art von Notwendigkeit zu kurz kommen mußte. Er vergaß eben, daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war und daß viele Eigenschaften, die er an den »Gebildeten« haßte, nicht Sondereigenschaften des Bürgerstandes, sondern allgemeine Eigenschaften der ganzen Epoche waren. So geißelte er das Auftreten eines eitlen, leckern und gesinnungslosen Historikers, der damals in den Berliner Salons vergöttert wurde, mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die seines Beifalls würdig gewesen wären, hätten ihm ebenso nah oder vielleicht näher gelegen. Ich nenne nur Fichte. Statt dessen sah er mit Vorliebe auf die Kluft, die freilich zwischen seinem eigenen Empfinden und jener schnöden Niedrigkeit lag, die sich damals danach drängte, als »Bürgergardist« vor Marschall Victor Schildwache zu stehn.
    Ängstliche Rücksichtnahme war nicht seine Sache, wo es die Wahrheit oder wenigstens das galt, was ihm als Wahrheit erschien. Durch Freund und Feind hin ging er seinen Weg. Die Furcht, anzustoßen, war nicht seine Furcht. Selbstbewußtsein durchdrang ihn und durft es, denn die Worte seines Testaments, »daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt und dabei sein eigenes irdisches Wohlsein für nichts erachtet habe«, waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgesetzt, verleumdet, hatten die Kränkungen, davon er genugsam erfahren, doch niemals schwerer in seinem Herzen gewogen als das Gefühl seiner Pflicht. Sooft es galt, war er da. Alles gab er auf, alles setzte er ein, sooft die großen Interessen des

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