Wanderungen II. Das Oderland.
oder dort oben, wo die lichten Wolken im blauen Äther ziehn. Sooft er in den Lüften war, zog ihn die süße Gewohnheit zur Erde zurück, sooft er auf der Erde war, zog ihn die eingeborene Natur nach oben. Als er auf dem Punkte stand, die Gegensätze zu versöhnen und in Freiheit zu dienen , traf ihn der Tod. So starb er, »ein Hoffnungsvoller, ein Vielgeliebter«, wie die kriegsgeschichtlichen Tagebücher jener Zeit ihn nennen.
Alexander von der Marwitz ward am 4. Oktober 1787 in Berlin geboren. Nach einer andern Angabe in Friedersdorf. Seine erste Erziehung erhielt er im elterlichen Hause, teils in Berlin, teils auf dem Familiengut. Seinen Vater verlor er früh (1793), und sein zehn Jahre älterer Bruder, Friedrich August Ludwig, wurde, wenn nicht dem Namen nach, so doch in Wirklichkeit, sein Vormund. Das stete Wechseln im Aufenthalt zwischen Berlin und Friedersdorf erwies sich nicht als günstig für die Erziehung des jüngeren Bruders, und so wurde derselbe im Sommer 1794 zum Hofprediger Arens in Küstrin in Pension gegeben. Arens, wohlunterrichtet, streng und gewissenhaft in seiner Methode, legte den Grund zu dem späteren ausgezeichneten Wissen seines Zöglings. Kaum vierzehn Jahre alt, verließ dieser die Küstriner Schule, nahm in einer noch aufbewahrten, durch Gedankenreife überraschenden Rede von Lehrern und Schülern Abschied und ging nach Berlin, wo er noch dritthalb Jahre lang das damals unter Gedikes Leitung stehende, höchst ausgezeichnete Gymnasium »Zum Grauen Kloster« besuchte. Er traf hier gute Gesellschaft. Unter seinen Mitschülern befanden sich zunächst die Söhne von Büsching, Biester, Adelung und Koepke, ferner der älteste Sohn des damaligen Obersten von Scharnhorst (welcher letztere kurze Zeit vorher in preußische Dienste getreten war) und endlich der Sohn der Frau von Staël-Holstein 1) , die, 1803 nach Deutschland gekommen, ihren Wohnsitz in Berlin genommen hatte. Sprachliche und historische Studien waren es, denen sich Marwitz schon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers »Schweizergeschichte« machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er, kaum sechzehn Jahr alt den berühmten Historiker aufsuchte, um ihm seinen Dank und seine Bewunderung auszudrücken.
Dieser Schritt, unscheinbar auf den ersten Blick, gab ihm doch Gelegenheit, die Selbständigkeit seiner Denk- und Handelweise zu zeigen, die ihn später so sehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte diese Bekanntschaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beschreibung hervorgeht, die uns derselbe von der Person Johann von Müllers hinterlassen hat. »Johann von Müller«, so schreibt er, »war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Beinchen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Fressen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf herausstanden und beständig rot unterlaufen waren« etc. Aber so gern bereit der jüngere Bruder war, diesen ablehnenden Geschmack des älteren gelten zu lassen, so wenig war er doch andererseits geneigt, sich den Antipathien desselben unterzuordnen.
Neben der Selbständigkeit seines Charakters trat hierin zugleich auch jener andere Zug seiner Natur hervor, der ihn, in Freud und Leid, unter den wechselndsten Schicksalen und Stimmungen beherrschte: der Zug und Hang nach dem Geistreichen . Dieser Hang nahm, bevor die letzten Jahre seines Lebens eine Klärung und größere Reife schufen, fast die Form einer Krankheit an. Alles verschwand daneben.
Um dies in ganzem Umfange zu verstehen, ist es nötig, sich in die Genialitätsbestrebungen, in die geistige Genußsucht jener Zeit zurückzuversetzen. Der bekannte Ausspruch Friedrichs des Großen, »daß er der Beschäftigung mit guten Büchern und gescheiten Leuten die genußreichsten, wo nicht die einzig genußreichen Stunden seines Lebens verdanke«, schien plötzlich die Anschauung aller feinen Köpfe geworden zu sein; sie lebten wie im Theater und horchten auf die besten Stellen . Die Personen waren nicht mehr Personen, sondern Akteurs ; alles kam auf die Unterhaltung, die Belehrung an, die sie gewährten. Der Witz, die geistreiche Sentenz, der Strom des Wissens, der Zauber der Rede lösten sich wie selbständige Kunstwerke vom Sprecher los, und in derselben Weise, wie es uns, angesichts eines schönen Landschaftsbildes, nicht im geringsten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine saubere oder eine unsaubere Hand, so wog damals der Glanz geistiger Gaben
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