Wandlung
ganz sicher. Keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte, ein schiefgegangener Drogendeal, ein Streit wegen eines Schokoriegels, was auch immer. Aber getötet hat er ihn, darauf verwette ich mein Leben.«
»Du hast ein Gewehr, vielleicht solltest du Gebrauch davon machen.«
»So etwas könnte ich nicht. Gut, wir haben eine Reihe von Infizierten getötet. Aber irgendwo müssen wir eine Grenze ziehen. Ich bin keine Mörderin.«
»Selbstverständlich bist du eine gottverdammte Mörderin. Jetzt, da es keine übergeordnete Autorität mehr gibt, wird es hier genau so laufen. Wir müssen diese gottverfluchte Situation selbst regeln.«
»Ist das dein Ernst? Das würdest du tun, du würdest auf den Abzug drücken und den Mann erschießen? Ihn nach draußen aufs Eis mitnehmen und ihn in den Rücken schießen?«
»Der Mann ist nicht dumm. Wenn du recht hast und er Mal tatsächlich umgebracht hat, dann ist er ein gefährlicher Mistkerl. Du kennst jetzt sein großes Geheimnis, was er in kürzester Zeit spitzkriegen wird. Im Moment sind wir noch sicher, aber sobald wir in die Welt zurückkehren, wird das eine andere Geschichte sein, denn er wird uns als ernsthafte Bedrohung betrachten. Wir sollten von jetzt an auf der Hut sein, mehr sage ich gar nicht.«
Mals Bestattung war für drei Uhr nachmittags angesetzt. Die Mannschaft versammelte sich in der Kantine der Rampart und gestaltete sie möglichst kurz, da alle es eilig hatten, sich des Leichnams zu entledigen und das Eis wieder zu verlassen, bevor die Passagiere von der Hyperion sie womöglich einkreisten und über sie herfielen.
Nachdem sie die Flutlichter auf die Eisfläche zwischen den gigantischen Schwimmauflagern der Raffinerie gerichtet hatten, stieg die Besatzung, all jene unter ihnen, die ihn gekannt und gemocht hatten, von der Plattform herab und stellte sich neben dem in ein Leichentuch gehüllten
Körper auf, während Jane die altbekannten Worte sprach: »Unsere Tage sind wie das Gras, wie eine Blume des Feldes erblühen wir, doch wenn der Wind darüberstreicht, wird sie vergehen, und sie wird vergessen sein. Aber ewig währt die gnädige Barmherzigkeit des Herrn …«
Die meisten Männer glaubten weder an Gott noch an ein Himmelreich, doch der Rhythmus des elegischen Gebets gefiel ihnen, dieser von Ergebenheit und Hinnahme geprägte Unterton.
Sie schlugen ein Loch ins Eis und ließen den Leichnam ins Meer gleiten. Die Männer schauten zu, wie Mal von der Strömung fortgezogen wurde, und alle hatten sie in diesem Moment denselben Gedanken: Wird es so enden? Werden sie einer nach dem anderen ins Wasser gestoßen und von den Gezeiten davongetragen? Was würde der Letzte von ihnen tun, das letzte einsame Mitglied der Besatzung der Rampart, sobald ihm der Tod durch Verhungern oder Infizierung drohte? Würde er ein Loch in die Eisdecke schlagen und dann an der Wasserkante ein Gebet sprechen, seine eigene Bestattung zelebrieren? Vielleicht ein Lied singen, sich dann bekreuzigen, die Augen schließen und sich ins Meer fallen lassen?
29 – Die Stimme
Brecher krachten gegen das Boot. Nikki rollte sich zusammen und bedeckte ihren Kopf, sie hatte sich wasserdicht unter Deck eingeschlossen und ließ mehrere heftige Stöße über sich ergehen. Um sich zusätzlich zu schützen, wickelte sie sich in einen Schlafsack und lag in völliger Dunkelheit. Alle paar Minuten fühlte sie, wie das Boot in die Höhe schoss, als würde es jeden Moment abheben, um gleich darauf in ein Wellental hinabzustürzen. Um sich zu beruhigen, stimmte sie ein Lied an, aber über dem Getöse des Mahlstroms konnte sie nicht mal ihre eigene Stimme hören.
Ihr Körper war ein einziger Krampf, sie konnte sich kaum bewegen. Das Segel und die Takelage hatte sie niedergeholt, den silbernen Stoff zusammengefaltet, das Tau aufgerollt und alles unter Deck verstaut.
Aber der Mast stand nach wie vor, eindeutig ein Konstruktionsfehler. Festgeschweißt, wie er war, konnte er nicht umgelegt werden, ein mächtiger Dorn aus Stahl, der inmitten eines heftigen Gewitters in den Himmel ragte.
Nikki bezweifelte, dass sie einen Blitzeinschlag überhaupt spüren würde. Ein stählerner Mast auf einem Aluminiumrumpf, das hieß, sie würde augenblicklich geröstet werden, eine Seglerin, die schmauchend und kross gebraten wie ein großer Schweinebraten auf ihrer Koje lag.
Sie lag und wartete ab, ob sich das Boot selbst in Stücke schlagen würde, wartete ab, ob die Nieten und Schweißnähte halten würden, ob sie
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