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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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jetzt, da sie am anderen Ufer angelangt war, am Ufer der Besitzenden. Ihr Instinkt, defensiv und auf Erwerb bedacht, kannte kein Erbarmen.
    Und unterdessen beobachtete sie mich, ihren Herrn. Was würde ich tun? Hatte ich noch nicht genug von ihr? Schickte ich sie nicht weg? Dann war es ja gut, dann wollte sie rasch noch etwas mehr Geld beiseite schaffen. Sie beobachtete mich bei Tisch und im Bett. Und als ich das zum erstenmal spürte, wurde ich rot vor Scham. Zu Judits Glück war es fast dunkel im Zimmer. Man kennt seine eigenen Grenzen nicht. Wenn ich mich da nicht zusammengenommen hätte, wäre sie jetzt vielleicht tot. Vielleicht. Aber es ist müßig, darüber zu spekulieren.
    Es war nur ein Blick, nachdem ich in einem zärtlich-vertraulichen Moment die Augen geschlossen und dann plötzlich wieder aufgemacht hatte. Und da sah ich im Halbdunkel ein Gesicht, ein vertrautes, schicksalhaftes Gesicht, das ganz vorsichtig spöttisch lächelte. Da wußte ich, daß diese Frau jetzt und auch zuvor, als ich dachte, ich erlebe mit jemandem den Moment unbedingter Hingabe, eine Frau, mit der ich aus den gesellschaftlichen Konventionen ausgewandert war: daß sie genau in solchen Augenblicken mich mit sanftem, aber unmißverständlichem Spott betrachtete. Du weißt, wie ein Dienstbote, der einen forschend beobachtet und sich fragt: »Was macht der junge Herr?« Und sich dann sagt: »Aha, das wollen die also.« Und einen dann entsprechend bedient. So erfuhr ich, daß mich Judit im Bett und außerhalb des Betts nicht liebte, sondern bediente. So wie damals als Zimmermädchen, da sie meine Schuhe und Kleider in Ordnung hielt. So wie sie uns bei Tisch bediente, später, als ich zu meiner Mutter zum Mittagessen ging. Sie bediente mich, denn das war ihre Rolle mir gegenüber, und an den schicksalhaften, wirklich menschlichen Rollen kann man nichts ändern. Und als ihr seltsamer Kampf mit mir und meiner Frau begann, glaubte sie keinen einzigen Augenblick, daß unsere Beziehung, die Rollen, die uns vereinten und trennten, in irgendeiner Weise aufgelöst oder verändert werden könnten. Sie glaubte nicht, daß ihre Rolle in meinem Leben je etwas anderes sein würde als die der Dienenden und Bedienenden, also des Dienstmädchens. Und da sie das alles nicht nur mit dem Verstand wußte, sondern auch mit dem Körper und den Nerven, mit ihren Träumen und auch mit ihrer Vergangenheit und Abstammung, so haderte sie jeweils nicht lange mit ihrer Situation, sondern tat, wie es die Gesetze ihres Lebens befahlen. Auch das verstehe ich jetzt.
    Du fragst, ob es weh getan hat.
    Sehr.
    Aber ich habe sie nicht gleich weggeschickt. Ich war eitel und wollte nicht, daß sie wußte, wie sehr sie mir weh tat. Ich ließ zu, daß sie mich noch eine Weile bediente, im Bett und bei Tisch, ich duldete, daß sie mich noch eine Zeitlang bestahl. Auch später habe ich ihr nie gesagt, daß ich ihre traurigen kleinen Machenschaften kannte, und ich erwähnte auch nie, daß ich im Bett ihre spöttischen, verächtlichen, neugierigen Blicke bemerkt hatte. Die Angelegenheit zwischen zwei Menschen muß zu Ende geführt werden, ganz zu Ende, bis zum Tod, wenn es nicht anders geht. Und dann, nachdem sie mir einen anderen Anlaß dafür gegeben hatte, schickte ich sie in aller Stille weg. Sie ging, ohne zu protestieren, es gab keine lauten Worte, keinen Streit. Sie nahm ihr Bündel – ein großes Bündel, da steckten schon ein Haus und Juwelen drin – und zog von dannen. So wortlos, wie sie mit sechzehn gekommen war. Und sie blickte genauso von der Schwelle zurück, mit dem stummen, fragenden, gleichgültigen Blick, den sie hatte, als ich sie im Entree zum erstenmal sah.
    Das Schönste an ihr waren die Augen. Ich sehe sie manchmal noch, im Traum.
    Ja, der kleine Untersetzte hat sie sich geholt. Wir hatten ja auch das Duell … Das sind Trostlosigkeiten, aber manchmal geht’s nicht anders.
    Du, die werfen uns gleich raus.
    Ober, zahlen. Wir hatten … nein, das kommt überhaupt nicht in Frage! Das war mein Abend, wenn du gestattest. Keine Widerrede, du warst mein Gast.
    Nein, ich habe keine Lust, mit dir nach Peru zu gehen. Wenn man bei der Einsamkeit angelangt ist, warum sollte man dann nach Peru gehen oder sonstwohin? Weißt du, eines Tages habe ich verstanden, daß mir niemand helfen kann. Man sehnt sich nach Liebe, aber es hilft einem niemand, nie. Wenn man das begriffen hat, wird man stark und einsam.
    So war das also, während du in Peru lebtest.

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