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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Betriebskosten unseres Zusammenlebens wegnahm, so wäre das eine Lappalie gewesen. Alle Frauen machen das, denn insgeheim denken alle, daß sich der Mann nicht auf die Wirklichkeit des Lebens versteht, daß er nur verdienen, aber nicht bewahren kann. Jede Frau bereitet sich auf die Regentage vor. Grundanständige Frauen betrügen ihre Männer in Geldsachen wie das letzte diebische Dienstmädchen. Sie wissen, daß die größte Schwierigkeit des Lebens darin besteht, etwas zu bewahren: das Eingemachte, einen Menschen, das Geld, alles, was es wert ist, bewahrt zu werden. Deshalb betrügen und stehlen sie, einen Fillér hier, einen Pengő dort. Das ist so eine weibliche Tugend, eine kleinliche, zähe Schläue. Doch Judit beschränkte sich nicht auf Fillér und Pengő. Schön und lächelnd und lautlos bestahl sie mich systematisch, indem sie mir gefälschte Rechnungen vorwies und das Geld versteckte.
    Wir lebten still und freundlich. Judit stahl, ich beobachtete. So begann das Ende der Geschichte.
    Doch dann erfuhr ich, daß sie mir nicht nur Geld unterschlug, sondern mir jenes rätselhafte Etwas nahm, das die Grundbedingung eines Menschenlebens ist: meine Selbstachtung. Weißt du, es ist mir schon klar, daß dieser Begriff nicht viel mehr als Eitelkeit bedeutet. Es ist ein Männerwort, die Frauen zucken mit den Schultern, wenn es ausgesprochen wird. Denn die Frauen »achten« sich nicht. Vielleicht achten sie den Mann, mit dem sie leben, oder ihre gesellschaftliche oder familiäre Stellung oder ihren guten Ruf. Das alles ist auf einer sekundären Ebene, ist Äußerlichkeit. Sich selbst aber, das aus Charakter und Bewußtheit zusammengesetzte Phänomen, das »Ich« und die Persönlichkeit, das betrachten die Frauen mit gutmütig-herablassender Komplizität.
    So wußte ich nun, daß mich diese Frau regelrecht bestahl oder jedenfalls alles tat, soweit es nicht zu sehr auffiel, um sich von meinem Kuchen ein beträchtliches Stück abzuschneiden. Weißt du, von dem Kuchen, der doch eigentlich uns beiden gehörte oder sogar noch mehr ihr, solange er noch richtig süß war. Doch das erfuhr ich nicht von draußen, nicht von der Bank, die mit ahnungslosem Diensteifer meine Frau über die erfreuliche Entwicklung ihrer Vermögenslage informierte. Nein, mein Junge, im Bett habe ich es erfahren. Und das tat sehr weh … Ja, da kommt die Selbstachtung ins Spiel.
    Ich habe es im Bett erfahren, als ich sie schon seit geraumer Weile beobachtete. Ich hatte gedacht, sie brauche das Geld für ihre Familie. Sie hatte eine große Familie, Männer und Frauen, die irgendwo in der Tiefe lebten, gewissermaßen in historischer Zeit, von der ich mit dem Kopf alles wußte, deren Tiefen auszuloten ich aber nicht beherzt genug war. Ich dachte, Judit bestehle mich im Auftrag dieser geheimnisvollen unterirdischen Gemeinde. Vielleicht hatte die Familie Schulden, vielleicht wollten sie Land kaufen … Du fragst, warum sie dann nichts gesagt habe. Das fragte ich mich auch. Und antwortete mir gleich, sie sage nichts, weil sie sich schäme, weil die Armut auch eine Verschwörung sei, ein Geheimbund, ein ewiges, stummes Gelübde. Die Armen wollen nicht nur ein besseres Leben, nein, sie wollen auch ein besseres Selbstwertgefühl, im Bewußtsein, daß sie ein großes Unrecht erleiden, wofür die Welt sie wie Helden verehren sollte. Und tatsächlich sind sie das auch. Jetzt, da ich alt werde, weiß ich, daß sie die einzigen wahren Helden sind. Jedes andere Heldentum entsteht aus der Gelegenheit, oder es ist erzwungen oder eitel. Aber sechzig Jahre lang arm sein und gegenüber Familie und Gesellschaft schweigend seine Pflicht tun und dabei menschlich, würdig und womöglich sogar gutgelaunt bleiben: das ist das wahre Heldentum.
    Also, ich dachte, sie stehle für die Familie. Doch nein, Judit war nicht sentimental. Sie stahl für sich selbst, ohne ein bestimmtes Ziel, aber mit großem Eifer und Ernst und jener Umsicht, die aus jahrtausendealter Erfahrung weiß, daß die sieben fetten Jahre enden werden, daß die Herrschaft sprunghaft ist und das Glück unbeständig, daß es ratsam ist, sich den Bauch vollzuschlagen, wenn einen die Laune des Schicksals vor den gefüllten Topf gesetzt hat, denn die mageren Zeiten kommen bestimmt bald wieder. Sie stahl aus Voraussicht, nicht aus Großherzigkeit und Mitleid. Wenn sie ihrer Familie helfen wollte, brauchte sie mir bloß ein Wort zu sagen: das wußte sie genau. Doch Judit hatte instinktiv Angst vor der Familie, besonders

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