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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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den Arzt in die Brust sticht. Weißt du, woran man merkte, daß sie verrückt waren? Daran, daß sie so steif waren. Steife Bewegungen, steife Worte. An ihren Bewegungen war keine Biegsamkeit zu spüren, keine Weichheit und Natürlichkeit wie bei den Gesunden. Sie lächelten oder lachten, aber wie die Schauspieler, die in langer Vorbereitung und Übung ihre Lippen auf Lächeln trimmen. Sie sprachen leise, besonders, wenn sie höllisch wütend waren. Da redeten sie ganz leise, bewegten die Lippen kaum, zischelten bloß. Ich habe in dem Haus nie ein lautes Wort, nie einen Streit gehört. Nur der Alte knurrte manchmal, aber auch er war angekränkelt, denn er senkte die Stimme gleich, verschluckte die spontanen, wütenden Flüche.
    Sie verbeugten sich voreinander, sogar im Sitzen, wie die Trapezkünstler im Zirkus, wenn sie auf der Schaukel sitzen und sich für den Applaus bedanken.
    Während des Essens boten sie einander die Speisen an, als wären sie bei fremden Leuten zu Gast. Bitte sehr, mein Lieber, womit darf ich dir noch dienen, Teuerste, so ging das. Ich brauchte eine Weile, aber dann gewöhnte ich mich daran.
    Auch an das Klopfen mußte man sich gewöhnen. Weißt du, die traten nie ohne anzuklopfen zueinander ins Zimmer. Sie lebten unter einem Dach und doch so weit voneinander entfernt, als wären unsichtbare Landesgrenzen zwischen den Schlafzimmern. Die alte Frau schlief im Erdgeschoß. Der alte Herr im ersten Stock. Der junge Herr, mein Mann, in der Mansarde. Für ihn war eine eigene Treppe zu seinem Reich gebaut worden, so wie er auch ein eigenes Auto und später einen eigenen Diener hatte. Sie paßten sehr auf, daß sie einander nicht in die Quere kamen. Und wenn wir sie in der Küche nachahmten, war das kein Spott. In den ersten ein, zwei Jahren mußte ich vor Verblüffung manchmal doch noch lachen. Aber als ich die Empörung der älteren Bediensteten sah, wie wenn ich mich an etwas Heiligem vergangen hätte, da hörte ich gleich damit auf und schämte mich. Ich begriff, daß es da nichts zu lachen gab. Die Verrücktheit ist nie lächerlich.
    Aber es gab noch mehr, anderes als die schlichte Verrücktheit. Was das war, habe ich nur langsam verstanden. Was bewahrten die mit einer solchen Sorgfalt auf, mit ihrer verkrampften Reinlichkeit, ihren Krankenhausregeln, mit ihren Manieren, ihren Jalieber, Gewißdochliebste? Nicht ihr Geld, oder nicht nur das. Denn auch mit dem Geld war das eine andere Sache als bei uns, die nicht hineingeboren wurden. Die schützten und bewahrten noch etwas anderes. Lange verstand ich es nicht. Vielleicht hätte ich es nie verstanden, wenn ich nicht eines Tages diesem Menschen begegnet wäre, dem auf dem Bild vorhin. Ja, dem sogenannten Künstler. Der hat es mir erklärt.
    Er hat gesagt, die leben nicht für etwas, sondern gegen etwas. Mehr hat er nicht gesagt. Ich sehe, du verstehst das nicht. Aber ich verstehe es heute.
    Wenn ich alles erzähle, wirst du es vielleicht auch verstehen. Aber meinetwegen kannst du auch einschlafen dabei.
    Also, ich war bei den Gerüchen, daß in dem Haus alles roch wie im Krankenhaus, dem großen Erlebnis meiner Kindheit. So ein Sauberkeitsgeruch, kein natürlicher Geruch. Schon die viele Wichse, die wir für das Parkett und die Möbel verwendeten, und das chemische Zeug, mit dem wir die Fenster, die Teppiche, das Silber, die Kupfergegenstände putzten und polierten, das alles war nicht natürlich. Wer in das Haus kam, und erst noch so ein armes Ding wie ich, begann gleich zu schnüffeln, weil ihm die vielen künstlichen Gerüche die Luft nahmen. So wie im Krankenhaus der Geruch von Karbol und Jodoform alles durchzieht, so lag hier in den Zimmern der Geruch der vielen Putzmittel und dazu der Duft der ausländischen Zigarren, der ägyptischen Zigaretten, der teuren Liköre und der Parfums der Gäste. Alles war durchtränkt davon, die Möbel, die Vorhänge, die Gegenstände.
    Die alte Frau hatte einen ganz speziellen Reinlichkeitswahn. Der Diener und die Köchin und ich genügten ihr nicht. Monatlich einmal mußten Putzfachleute her, und die traten an wie die Feuerwehr, mit Leitern und merkwürdigen Maschinen, und wuschen, scheuerten und bohnerten noch einmal alles. Es kam auch ein Fensterreiniger, der keine andere Aufgabe hatte, als die Fenster, die wir schon einmal geputzt hatten, noch einmal zu waschen und blankzureiben. Die Waschküche war wie ein Operationssaal, wo man die Bazillen mit dem Strahl blauer Lampen vertreibt. Aber sie hatte auch etwas

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